Der Tod ist kein Hindernis

Die sächsische Staatsregierung hält trotz des tödlichen Unfalls eines Atomkraftgegners an den umstrittenen Castor-Transporten nach Ahaus fest. Anti-Atom-Aktivisten im Münsterland sind bestürzt

VON KLAUS JANSEN

Die sächsische Staatsregierung will trotz des Todes eines französischen Anti-Castor-Demonstranten an den geplanten Atommülltransporten vom Forschungsreaktor Rossendorf ins münsterländische Ahaus festhalten. „Soll man deswegen jetzt Staatstrauer ausrufen?“, kommentiert Andreas Schumann, Sprecher des sächsischen Innenministers Horst Rasch (CDU), den Unfall in Lothringen, bei dem ein 21-Jähriger von dem von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben fahrenden Castor-Zug überrollt worden war.

Weitaus bestürzter als die sächsische Staatsregierung reagieren die Atomkraftgegner in NRW auf den Unfall. Noch am Sonntagabend kamen in Münster, Bielefeld und Waltrop Menschen zu spontanen Trauerkundgebungen zusammen, für Montagabend war eine große Veranstaltung vor dem Münsteraner Hauptbahnhof geplant.

„Wir sind geschockt, dass der Fahrplan der Transporte Vorrang vor Menschenleben hat“, sagt Felix Ruwe, Sprecher der Bürgerinitiative (BI) „Kein Atommüll in Ahaus“. Besonders entsetzt sind die Atomkraftgegner darüber, dass der Castor-Zug ohne größere Polizeiaufsicht mit 100 km/h auf der kurvigen Strecke in Frankreich unterwegs war – der zur Überwachung abgestellte Hubschrauber war zur Unfallzeit zum Tanken am Boden. „Da sind 15.000 Polizisten im Einsatz, und keiner sieht etwas. Der Zug hätte entgleisen können, wenn da ein Betonklotz gelegen hätte“, sagt Matthias Eickhoff von der BI „Stoppt Atomtransporte“ aus Münster. Auch Atomkraftgegner Willi Hesters vom „Aktionsbündnis Münsterland“ ist betroffen: „Wenn man ganz ehrlich ist, hat man nie damit gerechnet, dass es irgendwann so weit kommt“, sagt er. Einig sind sich die drei Aktivisten darin, dass im Zuge des Unfalls auch die geplanten Transporte von Rossendorf nach Ahaus neu diskutiert werden sollen. „Die müssen jetzt endgültig abgesagt werden“, so Hesters.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung versucht seit über einem Jahr vergeblich, die von Sachsen gewünschten Transporte zu verhindern. Für morgen sind Vertreter Sachsens zu einem „Koordinierungsgespräch“ nach Düsseldorf eingeladen. Anlässlich des Zwischenfalls in Frankreich fordert nun Rüdiger Sagel, atompolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, eine Absage des Treffens. „Der Unfall hat gezeigt, wie gefährlich die Transporte sind“, so Sagel zur taz. „Da muss man die Risiken erst noch einmal grundlegend überdenken.“ Zudem würden nach dem Unfall stärkere Sicherheitsvorkehrungen nötig – schon jetzt werden die Kosten für einen Einsatz der NRW-Polizei zur Transportsicherung auf 50 Millionen Euro geschätzt.

NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) will das Koordinierungsgespräch mit den Sachsen jedoch nicht absagen. „Es ist bekannt, dass wir gegen die Transporte sind. Den Unfall als Argumentationshilfe zu nehmen, wäre jedoch zynisch“, so Ministeriumssprecher Ulrich Rungwerth. Ohnehin sind der Landesregierung weitgehend die Hände gebunden: Das Bundesamt für Strahlenschutz hat den Transport bereits in letzter Instanz genehmigt, auch der juristische Spielraum ist erschöpft (siehe Kasten). „Wir halten an dem Transport fest“, gibt sich deshalb die sächsische Landesregierung entschlossen. Zudem könne bei der geplanten Fahrt mit LKW kein Unfall wie in Frankreich passieren. Auch das Bundesumweltministerium ist nicht bereit, den Transport zu verbieten: „Die Genehmigung ist erteilt. Man sollte den Unfall jetzt nicht instrumentalisieren“, sagt Sprecherin Frauke Stamer.

Ob sich die Aktivisten im Münsterland im Falle eines Transports wie in Frankreich ebenfalls an Gleise ketten werden, ist umstritten. „Wir werden uns nicht verstecken, aber sicherlich unsere Protestformen überdenken“, kündigt „Aktion Münsterland“-Sprecher Willi Hesters an. „Wir sind keine Harakiri-Demonstranten, wir wollen keine Eskalation“, sagt er. Für Felix Ruwe von der BI Ahaus bleibt jedoch auch Anketten ein legitimes Mittel des Protests: „Wir werden die Autobahn blockieren. Als Demonstranten hat uns die Polizei zu schützen.“