Alptraum Auto: China wacht auf

China ist der am schnellsten wachsende Automarkt der Welt. Jetzt finden Kritiker einer bevorstehenden Energie- und Verkehrskatastrophe Gehör

aus Peking GEORG BLUME

Wer ein guter Konzernchef in der Automobilindustrie sein will, war in diesem Jahr schon in China. Paschke, Pietschetsrieder, Schrempp – aus Deutschland kamen sie seit März der Reihe nach, um Millioneninvestitionen von BMW, Volkswagen und DaimlerChrysler auf dem am schnellsten wachsenden Automobilmarkt der Welt anzukündigen. Doch nun zieht es auch ihre Gegner nach China – und die stoßen bei Regierung und Bevölkerung auf mehr Interesse, als sie erwartet hatten.

Der US-amerikanische Bestseller-Autor Lester Brown ist einer von ihnen. Als der grau gelockte Altstar der globalen Ökoszene, langjähriger Präsident des Worldwatch Institute in Washington, am Mittwoch mit dunkelblauer Fliege und grauweißen Turnschuhen das Podium der Volksuniversität in Peking erklimmt, begleiten ihn hunderte interessierter Aktivistenblicke. Brown spricht vor dem dritten NGO-Forum der Hauptstadt, einer Versammlung chinesischer Umweltschützer aus dem ganzen Land. Sein Thema, der Weg weg von einem „autozentrierten Transportsystem“, liegt ganz nah, denn draußen vor dem Uni-Auditorium staut auf der achtspurigen Zhongguancun-Straße wie an jedem Morgen der Verkehr. Also fragt Brown: „Was ist, wenn in China wie in den USA für jeden zweiten Bürger ein Auto in der Garage steht?“ Und antwortet selbst: „China würde mehr Öl benötigen, als die Welt heute produziert, und wäre ein Land mit enormen Schwierigkeiten.“

Dass für alle zehn neu verkauften Autos, wie Brown aus westlicher Erfahrung lehrt, ein Stück Land von der Größe eines Fußballfeldes asphaltiert wird, hat sich die Umweltwissenschaftlerin Chen Ling, eine junge Assistenzprofessorin am Pekinger Institut für die Popularisierung der Wissenschaften, bislang nicht vorstellen können. Chen ist gekommen, weil ihr Institut Umfragen über das Umweltbewusstsein durchführt. Darüber weiß sie gut Bescheid: „Kein Bauer in China würde verstehen, was Brown uns heute erzählt hat. Aber in Peking gibt es keinen Bürger mehr, der ihn nicht verstehen kann“, erklärt Chen.

Das ist leicht nachvollziehbar. Peking ist heute eine Stadt mit elf Millionen Einwohnern, zwei Millionen Fahrzeugen und drei U-Bahnen. Bis zum Olympiajahr 2008 sollen fünf neue U-Bahnen hinzukommen und die Bevölkerungszahl stabil bleiben – die Zahl der Fahrzeuge aber soll sich auf 3,8 Millionen fast verdoppeln. Pro Monat werden derzeit knapp 30.000 neue Fahrzeuge in der chinesischen Hauptstadt verkauft. Längst ist das Privatauto in China zum Statussymbol erhoben.

Das Verkehrsbild hat sich dramatisch verändert: Geparkte Autos blockieren die Bürgersteige. Staus gibt es zu jeder Tageszeit und fast überall. Fahrradwege werden von Autos benutzt und machen der immer noch größeren Zahl der Fahrradfahrer das Leben schwer. Die horrende Luftverschmutzung wird trotz sinkenden Kohlenverbrauchs nicht geringer. Auch haben landesweit annähernd hunderttausend Verkehrstote die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Und siehe da: Plötzlich hört man erste warnende Stimmen. „Der Autoboom ist Vorreiter eines Alptraums urbaner Entwicklung“, kommentiert das Parteiblatt China Daily. Schon sieht das Internationale Olympische Komitee die Verkehrsentwicklung in Peking als größtes organisatorisches Problem der Spiele.

So darf es nicht wundern, wenn sich auch die Regierung allmählich Sorgen macht – und am Donnerstag einen der einflussreichsten westlichen Kritiker der Autoindustrie empfing: Gerd Leipold, Chef von Greenpeace International, ist erstmals Gast beim chinesischen Vize-Umweltminister. Im taz-Interview zeigt er sich anschließend zugleich besorgt und erstaunt über die chinesiche Umweltpolitik.

Immerhin will China nun die USA bei den Auflagen für den Benzinverbrauch von PKWs überflügeln. Neue Verordnungen, von denen die New York Times in dieser Woche berichtet, sollen in drei Monaten erlassen werden, um die Autokonzerne ab 2005 zum Import ihrer neuesten Hybridmotoren und anderer Technologien zu zwingen. „Der Unterschied besteht darin, dass die Chinesen bereit zum Handeln sind und der Kongress es nicht ist“, lobt die New York Times die chinesische Politik vor dem Hintergrund des derzeit in den USA diskutierten Energie-Gesetzentwurfes. Erst vor wenigen Monaten hatte Peking Abgasverordnungen für Pkws in großen Städten entsprechend gültigen europäischen Normen erlassen.

Die Autohersteller wollen sich gegen die neuen Benzinsparauflagen noch wehren. Am lautstärksten ist dabei das von DaimlerChrysler geführte Jeep-Joint-Venture in Peking: Seine Autos ließen sich ab 2005 womöglich nicht mehr verkaufen. Für die Kritiker des autozentrierten Transportsystems in China wäre das ein erster Sieg.