Mal nicht auf die Schnauze hauen

Der Boxclub Seitenwechsel lädt zum Schaukampf nach Kreuzberg. Starke Frauen boxen hier gegen Konkurrentinnen. Pikant: In der gleichen Sporthalle trainieren des Machotums nicht unverdächtige Männer. Wenn das mal gut geht

Leichtfüßig springen die zwei Kontrahentinnen über ihr Seil, tock, tock, tock. Aufwärmtraining für den bevorstehenden Schauboxkampf. Die rund 50 Leute in der Halle sind gespannt auf den Kampf. Wie das wohl aussieht, wenn zwei Frauen sich schlagen, fragen sich die einen, die anderen setzen auf ihre Favoritin. Dann der Gong und es geht los. Beide Frauen tragen Kopf- und Mundschutz und fangen an, umeinander herum zu tänzeln.

Wir befinden uns beim „Tag des offenen Rings“, zu dem der Kreuzberger „Box Club im Seitenwechsel“ (BCS) und der Box Club Viktoria 71 eingeladen haben. Die beiden Vereine teilen sich seit Anfang August das Kreuzberger Boxcamp in der Bergmannstr. 28, dem Gelände der kürzlich geschlossenen Rosegger-Grundschule.

Für die Kanadierin Heather Cameron, die hier seit 2001 Entwicklungshilfe in Sachen Frauenboxen betreibt, und ihre Schützlinge ist mit der regulären Hallenzeit ein Traum in Erfüllung gegangen. „In Kanada ist das ganz normal“, sagt die Berliner Meisterin von 1998, „in Berlin ist Boxen immer noch hauptsächlich ein Männersport.“

Der Box Club Viktoria 71, der eine lange Tradition hat und ausschließlich Männer aufnimmt, beäugt die taffen Frauen mit Skepsis. Dass Frauen ihre Domäne erobern, betrachten die Jungs mit gemischten Gefühlen. „Zwei verschiedene Welten treffen hier aufeinander“, sagt Boris Peter von Viktoria. Auf der einen Seite Männer, die meisten von ihnen türkische Migranten, die sich durch die Sportart in ihrem Machotum bestätigen. Auf der anderen Seite starke, selbstbewusste und oft lesbische Frauen, die so gar nicht in das Bild dieser Männer passen wollen.

Zurück zum Kampf. Beim Amateurboxen kommt es darauf an, mit Taktik und Stil Punkte zu sammeln, und nicht, die Gegnerin K.o. zu schlagen. Der Boxkampf ähnelt einem Tanz, Schläge ins Gesicht gibt es kaum. Nach dreimal eineinhalb Minuten ist die Show vorbei. Die Frauen sind begeistert, die Männer verhalten. „Wir können das viel besser“, steht auf ihren Gesichtern geschrieben. Sagen tut es keiner.

Beim Klimmzug-Wettbewerb nach dem Kampf ist endlich Zeit, reichlich Testosteron abzubauen: Die beste Frau schafft es elf Mal mit dem Kinn über die Eisenstange. Lässig gehen die türkischen Jungs zum Reck, der Beste kommt auf 20. Balsam für die angegriffene Männerseele.

Die Frauen lassen sich von dieser Haltung nicht beirren. „Es gibt immer mehr Frauen, die sportlich sind und nicht ins Fitnesscenter möchten“, sagt Heather Cameron. „Beim Boxen muss man mutig sein und an seine Grenzen gehen, das spornt viele an.“

Zum Beispiel Sarah. Die 25-Jährige boxt seit zwei Jahren und nutzt das Training, um ihren Frust rauszulassen. Dieses Jahr schloss sie die Ausbildung zur Kampfrichterin als Jahrgangsbeste ab. Nun bewertet sie nicht nur Frauen-, sondern auch Männerwettkämpfe. Dabei stößt sie nicht immer auf Kollegialität. „Manche Männer akzeptieren mich nicht als Kampfrichterin.“ Ihr ist das egal, sie weiß, dass sie ihren Job gut macht.

Für Trainerin Cameron ist Boxen „Disziplinierung von Körper und Geist. Wer seinen Kopf im Kampf nicht benutzt, hat ohnehin verloren.“ Ihre Schützlinge sind ganz unterschiedlich motiviert, eines aber haben sie alle gemeinsam: Boxen gibt ihnen ein gutes Gefühl. „Man weiß, dass man sich verteidigen kann, wenn es darauf ankommt“, sagt Tove, die gerade noch im Ring stand.

Dass die Frauen die Halle bekommen haben, liegt auch an dem außerordentlichen Engagement von Siegrid Klebba, der Stadträtin für Jugend, Familie und Sport in Kreuzberg-Friedrichshain. Frauenboxen hat im Anerkennungsring einen ersten Treffer gelandet. ANNA MECHLER