„Wir sollten regionale Kooperation stärken“

Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul über ihre Reise ins Afrika der Großen Seen, die Wiederaufnahme der finanziellen Zusammenarbeit mit dem Kongo und den Sinn von Entwicklungshilfe für Ruanda

taz: Sie waren kürzlich zum ersten Mal im Afrika der Großen Seen und haben Kongo und Ruanda besucht. Was war Ihr stärkster Eindruck?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Der stärkste Eindruck war das Gefühl im Osten des Kongo, dass die Rechtsordnung und die staatlichen Strukturen wirklich im Boden versunken sind. Das kann man dort mit Händen greifen.

Sie haben im Kongo die Wiederaufnahme der finanziellen Zusammenarbeit angekündigt, die Anfang der Neunzigerjahre abgebrochen wurde. Was heißt das?

Bisher haben wir technische Zusammenarbeit geleistet, zum Beispiel in der Aidsbekämpfung oder im Aufbau von Gesundheitsstationen. Jetzt besteht im Kongo ein mögliches Fenster für einen vielleicht besseren politischen Prozess, um das ganz vorsichtig auszudrücken, und wir haben deutlich gemacht, dass wir Mittel zur Verfügung stellen, damit und wenn der Prozess positiv verläuft.

Im Kongo wurde berichtet, man habe von Deutschland 60 Millionen Euro bekommen …

Es gibt keine Finanzhilfe für das Budget, sondern es geht darum, dass frühere Bundesregierungen umgerechnet 60 Millionen Euro zugesagt hatten, die bisher blockiert waren, und die haben wir jetzt freigegeben für konkrete Vorhaben, die die Bevölkerung erreichen. Das heißt: Bis zu diesem Betrag könnten wir etwa bei der Versorgung mit sauberem Trinkwasser in Kleinstädten oder bei der Sensibilisierung der Bevölkerung im Vorfeld von Wahlen Unterstützung leisten.

Der Außenminister der alten Kolonialmacht Belgien kritisierte kürzlich, er habe im Kongo „keine verantwortlichen Politiker“ getroffen. War das auch Ihr Eindruck?

Lassen Sie es mich ironisch sagen: Belgische Politiker werden es ja wissen! Ich habe viele unterschiedliche Leute getroffen. Niemand kann von außen die politischen Figuren neu erfinden, sondern die jetzige Übergangsregierung muss den Übergangsprozess mitgestalten. Wenn dieser, wie vorgesehen, mit Wahlen im Juni 2005 abgeschlossen werden würde, wäre eine Stabilisierung der Region in Gang gekommen.

Glauben Sie, dass der Prozess gelingt?

Es kann immer Rückschläge geben, weil es ein hohes Potenzial von Störfaktoren gibt – in der Armee, im Ostkongo und durch die Interahamwe (irreguläre ruandische Hutu-Milizen, d. Red.). Ob der Prozess gelingt, kann also niemand garantieren. Es wäre aber unverantwortlich, wenn die internationale Gemeinschaft es nicht versuchen würde.

Was könnte Deutschland tun, damit die Störfaktoren nicht stören?

Die zivilgesellschaftlichen Gruppen stärken. Dazu beitragen, dass die Übergangsregierung diesen Prozess des Übergangs erfolgreich beschließt – es geht zum Beispiel um die Verfassung, die noch beraten und in einem Referendum angenommen werden muss, um die Verabschiedung der Wahlgesetze und auch um die starke Förderung der Frauen. Außerdem sollte Deutschland die regionale Kooperation stärken, damit die bevorstehende Friedenskonferenz für das Afrika der Großen Seen zu einem Prozess führt, der analog ist zum KSZE-Prozess, mit möglichst vielen grenzüberschreitenden Verknüpfungen in Fragen der Sicherheit, Wirtschaft, Politik und Energie.

In Deutschland gibt es auch Forderungen, Ruanda die Entwicklungshilfe zu streichen, weil das Land am Kongokrieg beteiligt war. Wie stehen Sie dazu?

Ich habe das schon früher immer für völlig falsch gehalten, und nachdem ich jetzt in Ruanda war, kann ich das noch weniger verstehen. Ich habe alle getroffen, die mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit arbeiten. Das sind zum Beispiel Organisationen der Hinterbliebenen des Völkermords, Versöhnungsnetzwerke, Menschenrechtsnetzwerke. Wenn man einer Gruppe ehemaliger Kämpfer, die jetzt ins zivile Leben integriert werden, ihre Zertifikate übergibt und hört, dass sich einst verfeindete Kämpfer zusammentun, um gemeinsam eine Beschäftigung aufzubauen – wer das nicht unterstützen will, weiß nicht, wovon er redet. Nachdem die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland versagt haben, 1994 den Völkermord zu verhindern, wäre es geradezu absurd, jetzt das zu stoppen, was wir versuchen, an Versöhnung und an innerem Wiederaufbau voranzubringen. Ruandas innere Entwicklung nach dem Genozid ist schon beeindruckend. Zum Beispiel, dass jetzt alle Kinder eine Grundschulbildung bekommen, was durch den Schuldenerlass umgesetzt wurde.

INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON