Fliege erbarmte sich unser

Am Buß- und Bettag feiert der ARD-Pastor in Bremen einen Fernsehgottesdienst und kehrt allerlei Sünden unter dem Teppich hervor. Seine Fans singen fetzig mit – und manche ältere Dame berührt sogar sein gebräuntes Antlitz

Bremen taz ■ „Eine Stunde vor der Sendung, da sitzt der Fliege immer auf Toilette und bittet Gott, dass er den richtigen Ton findet“, erklärt Wolf-Peter die Lage. Wolf-Peter trägt Vollbart und Bauch und hat ein Faible für Fliege. An diesem Nachmittag ist der Mittvierziger einer der wenigen Männer in der Kirche „Unser Lieben Frauen“. Fast nur ältere Damen quetschen sich in die Kirchbänke. „Da pass ich ja wohl auch noch rein, ja!“ Sie alle wollen dabei sein, wenn Promipastor Jürgen Fliege zum Buß- und Bettag einen Fernsehgottesdienst in Bremen zelebriert.

Eine halbe Stunde vor Sendebeginn kommt Jürgen Fliege, schwarz der Anzug, braun das Gesicht. „Schön, dass Sie da sind“, „hallo“, „geht gleich los“. „Da verschlägt es einem doch erstmal den Atem“, sagt Wolf-Peter und starrt auf seinen Helden. Der erklärt indes die Fernsehregeln: nicht in der Nase bohren, „fetzig“ mitsingen. Die Brillen der Damen funkeln, sie nicken und strahlen ihn an. Fliege hat seine Lieblingsband mitgebracht, die rheinische Karnevalsband „Bläck Föös“, „die haben total fromme Lieder drauf“. Eines davon spielen sie als Intro. „Es gibt ein Leben nach dem Tod“, heißt es. „Nach dem Tod, nach dem Tod“, singen die Damen begeistert mit und klatschen in die Hände.

Was wir alles an Sünden unter den Teppich kehren wollen, darum soll es heute gehen, erklärt Fliege, auf einen großen Besen gestützt. Er setzt sich neben eine Frau auf die Kirchenbank, wendet sich ihr zu, fasst sie an die Schulter. Wie das war, als sie ihr Kind abgetrieben habe. Stützt den Kopf auf die Hand. Die Frau erzählt ihre Geschichte, doch viel Zeit ist nicht. Wie vor Fernsehbeginn geübt, singt die Gemeinde ein hurtiges „Herr erbarme Dich“ – und schon sprintet der Pfarrer zum nächsten Ge-sprächspartner, die Kameras hinterher: Bildungssenator Willi Lemke. Mit welchem der Zehn Gebote der denn so Schwierigkeiten habe: „Das mit dem Ehebrechen, ist das für uns beide ein Thema?“ Nein, das weist Lemke von sich, damit habe er nichts zu tun. „Herr erbarme dich.“ In der Bibel tauchen ja auch nur Menschen auf mit Fehlern: Adam und Eva, Kain, Jakob, „eigentlich ‘ne Schurkengalerie“, predigt Fliege. „Ha, Schurkengalerie, der Fliege!“ freut sich Wolf-Peter.

Nach einer Stunde ist der Spaß vorbei. Mit ausgebreiteten Armen und Blick in die Ferne segnet Fliege seine Gemeinde, „der Herr lasse sein Angesicht leuchten“. Kameras aus. Damen scharen sich um Fliege und fassen ihm ins Gesicht. Wolf-Peter sitzt auf der Kirchbank und ist froh. „Wie im Theater, wie im Theater, wunderbar.“ Dorothea Siegle