Keine Zielvorgabe

In Oldenburg experimentiert eine kleine Bühne mit Identitäten und Medienvielfalt. Regisseur Winfried Wrede über die Form des „komponierten Theaters“

Körperverstümmelungals Protest: „Das Letzte, wo ich mich noch gestalten kann“

Die Bühne der Oldenburger Fabrik Rosenstrasse gleicht einem großen Gesellschaftsspiel. Auf einer Riesenleinwand inszeniert das populäre Videospiel „Sims“ eine happy family – mit der die Schauspieler auf dem Tanzboden verblüffende Ähnlichkeit haben.

Auch sie buhlen, umeinander und um Aufmerksamkeit, wodurch absurde Tänze entstehen. Regisseur Winfried Wrede leitet den Abend als Conferencier, seine Kapelle spielt schräge Kompositionen unter anderem von Octavia Crummenerl. Auch Jürgen Salzmanns Videoarbeiten sind eigenständige Kunstwerke. Alles andere aber ist Schau, Plagiat: Wer kopiert hier wen, was bedeutet Identität? Das ist die Leitfrage des Oldenburger „Theater Wrede“ in seiner aktuellen Inszenierung Paradise Now.

taz: Wie inszeniert man einen abstrakten Begriff?

Winfried Wrede: Wir haben erst mal bei unseren Biographien angesetzt und unsere Forschungen dann auf die Ansichten der Wissenschaft ausgedehnt. Einfach eine Figur zu erfinden, die eine Geschichte hat, würde mehr ins Private gehen. Wir wollten aber auf das gesellschaftliche Problem der Identität hinweisen.

Welche Probleme ergaben sich mit Ihrem Ansatz?

Wir sind davon ausgegangen, dass die verschiedenen verwendeten Medien ein Eigenleben haben. Sie sind Gegen- oder Mitspieler, wie zum Beispiel das Video. Es wird zur achten Person. Außerdem brauchten wir eine Sprache, die nicht narrativ funktioniert, die die Figuren nicht festlegt.

Denn wir fanden heraus, dass wir in diesem gesellschaftlichen Spiel viele Identitäten bereithalten müssen. Unsere Frage war: Ist es ein Plus der Gesellschaft, die alle Möglichkeiten zulässt, bis hin zum Rückzug auf Körperverstümmelung und Geschlechtsumwandlung? Oder ist das ein Protest der Leute: „Ich nehme das Letzte, was ich habe, das Einzige, wo ich mich noch gestalten kann.“

Bei der Inszenierungsarbeit haben Sie mit vielen Möglichkeiten gespielt – mit Livemusik, Tanz, Video, dem synchronen Sprechen auf Bilder. War das eine Flucht vor Festlegung?

Für mich war es eine Erweiterung, weil ich dadurch in der Abstraktheit bleiben konnte. Dem Zuschauer wird ja keine Identifikationsfigur angeboten, er muss sich auf den Weg machen und das Stück wirklich kontaktieren.

Und das hat wunderbar funktioniert, zum Teil mit einfachen Mitteln: Die Schauspieler halten wechselweise Photos von sich hoch und erzählen dabei jedes Mal ganz andere Geschichten. Das kennt wohl mittlerweile jeder: Dass man – je nachdem, in welchen Verwertungszusammenhang man sich begibt – ganz unterschiedliche Identitäten nach außen kehren muss.

Paradiese Now wirkt wie der Übergang zu etwas ganz Neuem. Haben Sie eine Ahnung, wo es hingehen soll?

Im Moment erlebe ich viel Interesse an diesem Weg des „komponierten“ Theaters. Ich möchte, dass der Zuschauer nicht mehr geleitet wird, sondern selbst seinen Weg sucht.

Für die Schauspieler bedeutet das, dass sie keine Zielvorgabe mehr haben, aber trotzdem einen Faden halten müssen. Diese Arbeit ist auch nur machbar mit einem festen Ensemble und ich bin froh dass wir das seit einiger Zeit haben.

Wie wird sich die knappe Fördersituation in Niedersachsen auf diese Arbeit auswirken?

Nur mit Projektgeldern, die jetzt auch noch gekürzt werden, kann ich kein Ensemble finanzieren. Der Inszenierungsweg, den wir seit einiger Zeit eingeschlagen haben, braucht eine konkrete Absicherung, damit wir ihn in aller Konsequenz weiterentwickeln können. Deswegen haben wir beim Land eine dreijährige Konzeptionsförderung beantragt. Zum Glück konnten wir mit der Stadt Oldenburg einen Dreijahresvertrag für die Nutzung der Theater Fabrik aushandeln.

Interview: Marijke Gerwin

„Paradise Now“: Freitag und Samstag (20.00 Uhr) in der Oldenburger Theater Fabrik/Rosenstraße