Immer wieder sonntags

„Es gibt keine Zensur in Geschmacksfragen, es gibt eine Carte blanche“: Der Dada de Nada-Club in St. Pauli will kein Club sein, sondern eine Anlaufstation für Restkulturrecycling. Lesungen über Anagramme konkurrieren mit 70er-Jahre-Pornos, und niemand muss so tun, als wäre er ein Künstler

von Carsten Klook

Die Galerie Trottoir in St. Pauli, die im Schaufenster eine zweiwöchentlich wechselnde Ausstellung präsentiert, bietet seit Juni diesen Jahres Dada de Nada die Räumlichkeiten für das wohl abgefahrenste Programm der Stadt. Der Raum, der sich einem nach Eintritt eröffnet, ist ein wenig mulschig: Die Wände abgesplisst und zerkratzt, so manche Bodenkachel wurde hier herausgebissen ... Ein Tresen mit hellblauer Auflage und Rosendekor bildet das dezentralisierte Zentrum. Ein Regal mit Büchern von Künstlern und Literaten in Miniauflagen lädt zum Blättern ein.

Dies mag er sein, der Ort für Menschen, die noch etwas anderes wollen als das, was einem sonst verkauft wird. Der Eintritt ist kostenlos, Bio(de)Nade das Lieblingsgetränk, Jever und Holsten auch. Es kommen Interessierte aller Richtungen: Künstler, Damen und Herren mit und ohne Hund von der Straße, Fahrer von 6-Liter-Mercedessen aus fernen Orten, mitgebrachte Jugendkulturen und Restkörper unbekannter Herkunft.

Musiker treten mit einer Handvoll Bodeneffektgeräten zur „Polypenpolka“ an, donnern einem etwas entgegen, das vielleicht ein Grundrauschen ist, das sich aufschaukelt oder ein Brummen, dass die Zuschauer und -hörer zum Verstummen bringt, um diesen Zustand vielleicht noch einmal zu verdoppeln. Handykonzerte, Agitationstheater mit Kinderinstrumenten, Lesungen zu Tierfriedhöfen und Texas Housing, Vorträge über Palindrome und Anagramme, „Schweinkramlounge“, Pornos aus den 70ern, Tipps fürs Zähneputzen – es ist ein schönes Durcheinander. Und es ist der Ort, an dem das Nicht-wissen-wohin zur Grundausstattung gehört. Das nämlich ist die Idee, die Dada de Nada zugrunde liegt: Statt sonntags allein Depressionen zu schieben, diese lieber mit anderen zu teilen oder zu überdenken.

Die drei Betreiber von Dada de Nada heißen nullachtsechzehn, votre voixine und renmaid. Ihre bürgerlichen Namen sollen hier nicht interessieren. Vielmehr wollen sie „Leuten einen Ort zur Verfügung stellen, an dem sie ihre Projekte und (Ab-)Neigungen darbieten und in Interaktion mit dem Publikum weiter formulieren und ausbilden können“, verlautbaren sie. Das erklärte Ziel ist „die Zusammenführung von Laien und fortgeschrittenen Laien“.

Die drei betreuen als Hosts die Künstler und setzen sie als Hostages im vierstündigen Zeitfenster des Sonntags fest. Hier kommt keiner auf die Idee, das sei etwas Neues. Niemand bricht sich einen Zacken aus der Krone und ringt sich ein verkrampftes Gespräch mit einstellbarem Kunst(betriebs)verständnis ab. Die, die kommen, leben Dada als Normalzustand und nicht als museales Erinnerungsstück. Es ist eine verrückte und irritierende Welt. Warum etwas vortäuschen?

Dada de Nada will kein Club sein. Auf der Homepage ist die Rede von „Restkulturrecycling“. Was aber ist das? „Die Reste der Kultur will keiner sehen. Wir machen das trotzdem. Zivilisation ist ohnehin Recycling“, sagen die drei. Grundsätzlich gehe es „um die Herstellung von Ereignissen und Situationen, die in vielen Fällen auch nicht wiederholbar sein sollen. Es gibt keine Zensur in Geschmacksfragen. Es gibt eine Carte Blanche“.

Immer wieder sonntags, 17–21 Uhr, in der Galerie Trottoir, Hamburger Hochstraße 24. 7.11.: „Das Poetische Prinzip. Übersetzungen aus dem Ungarischen“ (Lesung); 14.11.: „Miss Hawaii mit Hotel Poimpo (Electronic-Experiment); 21.11.: „Born to Die“ (Collagen, Filme); 28.11.: Billy (Rockabilly-Dokufilm)