„Es muss was getan werden“

Ein neues Buch mit Berichten ukrainischer Holocaust-Überlebender wurde von zwei Kölnern finanziert. Seit Jahren kümmern sie sich um Versöhnung zwischen Deutschen und Nazi-Opfern

Von Thomas Spolert

„Das sind Dokumente der Menschlichkeit“, erklärt Boris Zabarko. 60 Jahre nach der Befreiung von der deutschen Besatzung legte der ukrainische Historiker jetzt eine der ersten Sammlungen von Zeitzeugenberichten zum Holocaust in der Ukraine vor. Um die 86 erschütternden Zeugnisse als Buch zu veröffentlichen, bekam er Hilfe von dem Kölner Ehepaar Margret und Werner Müller. Das Paar, das Herausgeber der deutschen Ausgabe des Buches ist, finanzierte aus eigener Tasche die Recherche von Boris Zabarko und bezahlte auch die Übersetzung. „Dies ist auch ein Buch von den Müllers“, betont Zabarko daher bei der Vorstellung des Sammelbandes am Mittwoch Abend im Lew-Kopelew-Forum. „Ohne sie wäre das Buch weder in seiner russischen noch in seiner deutschen Fassung möglich gewesen.“

Dem Historiker Zabarko war bei einem internationalen Menschenrechtskongress 1993 in Wien aufgefallen, dass in der Geschichte des Holocaust eine eklatante Lücke klafft. „Die dort vorgelegte Enzyklopädie enthielt wenig Fakten zur Verfolgung der Juden in der ehemaligen Sowjetunion“, erzählt der Hochschullehrer. Dabei ermordeten die Nazis und ihre Helfer allein in der Ukraine über 1,5 Millionen Juden. Doch nichts erinnerte bis in die 90er Jahre daran. Jahrzehnte lang war das Thema in der Sowjetunion ein Tabu.

Daher beschloss Zabarko, der selbst als kleiner Junge das Ghetto von Schargorod bei Kiew überlebte: „Es muss was getan werden.“ Mehr als fünf Jahre sammelte er in der Ukraine Zeugnisse minderjähriger Ghetto- und KZ-Häftlinge. „Die Interviews waren sehr kompliziert“, berichtet Zabarko. Einige Überlebende seien zusammengebrochen, als sie das erste Mal ihre Erinnerungen preisgegeben hätten.

Das Kölner Ehepaar Müller traf Boris Zabarko erstmals 1996 bei einem Treffen von Ghetto-Juden aus Kiew mit Warschauer Leidensgenossen in der polnischen Hauptstadt. „Mich haben die Grußworte der Organisatoren dieses Treffens sehr erstaunt“, schildert Zabarko seinen damaligen Eindruck von den Müllers. Sie hätten von den „unfassbaren Verbrechen“, die sie mit „tiefem Schmerz und tiefer Scham“ erfüllten, gesprochen. So habe er Vertrauen gefasst und sich mit seinem Buchprojekt an das Ehepaar gewand.

Tatsächlich setzen sich Margret und Werner Müller seit Jahren aktiv für die Versöhnung zwischen Deutschen und ehemaligen KZ-Häftlingen und Ghetto-Überlebenden ein. „Wir haben beide eine Verbindung zum Thema“, erklärt Margret Müller, denn ihre Kindheit sei durch den Krieg geprägt gewesen. „Wir sind im 3. Reich erzogen worden“, erklärt die gebürtige Kölnerin. Daher hätten sie und ihr Mann diese Zeit immer interessiert und kritisch betrachtet. Seit zehn Jahren sind beide Kölner aktiv im Maximilian-Kolbe-Werk. Die Einrichtung in Freiburg organisiert seit mehr als drei Jahrzehnten die Begegnung mit Holocaust-Überlebenden.

Das Ehepaar macht seither regelmäßig Krankenbesuche bei ehemaligen KZ-Häftlingen in Polen und leitet Gruppen von Holocaust-Überlebenden, die nach Deutschland eingeladen werden. Außerdem gehen die Müllers mit Zeitzeugen in die Schulen. „Wir hatten damals große Angst vor der ersten Begegnung“, gesteht Margret Müller den Beginn ihrer Versöhnungsarbeit. Um so mehr habe sie die Hoffnung und das Vertrauen der Holocaust-Überlebenden in die Deutschen erstaunt. Heute erfüllt dieses Engagement ihr Leben. „Uns verbindet ein starkes Band.

„Nur wir haben überlebt – Holocaust in der Ukraine“, Herausgeber: Boris Zabarko, Herausgeber der deutschen Ausgabe: Margret und Werner Müller, Dittrich Verlag, Köln 2004, 469 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 3-937717-10-2