Vorzeigediplomat und glühender Europäer

Andris Piebalgs ist Lettlands neuer Kandidat für die EU-Kommission. In der Brüsseler Politik kennt er sich bestens aus

Mit Andris Piebalgs hat Lettlands Premier einen neuen Kandidaten für die EU-Kommission von José Manuel Barroso ernannt. Zumindest in einer Beziehung wird Piebalgs nicht in gleicher Weise Ärger in der Heimat auf sich ziehen wie seine gescheiterte Vorgängerin Ingrida Udre. Er lässt sich auf seinen Reisen nicht auf Kosten des Steuerzahlers von einer persönlichen Friseuse begleiten. Auch Korruptionsvorwürfe, die Udre primär ihr Amt kosteten, sind in Bezug auf den 47-Jährigen noch nicht laut geworden.

Nach seinem Alleingang bei der Ernennung Udres hatte sich der auf Abruf noch amtierende Indulis Emsis bei allen Parteien abgesichert. Und ernstliche Bedenken gegen Piebalgs, einen der erfahrensten und angesehensten Diplomaten seines Landes, scheint es nicht gegeben zu haben. Zumal er sich in Brüssel gut auskennt. 1998 war er zum Botschafter Lettlands bei der EU ernannt worden und ein führender Unterhändler für die Beitrittsverhandlungen zur Union.

Nach einem Zwischenspiel als Staatssekretär für die EU-Beziehungen im Außenministerium in Riga kehrte er mit dem EU-Beitritt im Mai 2004 nach Brüssel zurück – als Leiter des Büros von Sandra Kalniete, der noch amtierenden Vertreterin Lettlands in der EU-Kommission.

Dass Emsis Piebalgs und nicht wie erwartet Kalniete selbst für die neue Kommission benannte, dürfte zum einen innenpolitische Gründe haben. Er wollte offenbar nicht seinen KritikerInnen nachträglich Recht geben, die von Anfang an ein verlängertes Mandat für Kalniete gefordert hatten. Möglicherweise möchte aber auch Barroso keine neue Angriffsfläche bieten. Kalniete hätte sich nämlich aufgrund umstrittener Äußerungen zum Holocaust auf der Leipziger Buchmesse im vergangenen Frühjahr möglicherweise im EU-Parlament ebenfalls kritische Fragen stellen lassen müssen.

Im Gegensatz zur EU-Skeptikerin Udre, die den „Grünen/Bauernverband“ angehörte, ist Piebalgs, Mitbegründer der liberal-konservativen Partei „Lettlands Weg“, ein glühender Europäer. Der 47-Jährige ist Absolvent der mathematischen Fakultät der Universität Riga, war Vorsitzender des finanzpolitischen Parlamentsausschusses, erst Unterrichts-, dann Finanzminister. Ein Posten, von dem er 1995 im Gefolge einer schweren Bankenkrise, die viele LettInnen um ihre Ersparnisse brachte, zurücktrat. Sein Ziel war, eine Diplomatenlaufbahn einzuschlagen.

Ob er wie Udre in der Kommission für Steuerfragen und die Zollunion zuständig sein soll, erscheint fraglich. Ministerpräsident Emsis deutete an, Lettland sei von Barroso mit dem Verzicht auf Udre zu einer Art Bauernopfer gezwungen worden. Mit dessen Hilfe wolle Barroso die Forderung nach weiteren personellen Konsequenzen umgehen. Aufgrund des „Entgegenkommens“ Lettlands rechne er mit einem solchen Barrosos und „einem besseren Portfolio“ für Lettland. Schließlich seien die jetzigen Peinlichkeiten für das Land „schon unerfreulich genug“ gewesen. REINHARD WOLFF