Trauer und Wut in Istanbul

Weltweite Empörung nach den Anschlägen auf zwei Synagogen in Istanbul mit mehreren Toten und hunderten Verletzten. Ermittler vermuten Verbindungen zum internationalen Terrorismus

ISTANBUL taz ■ 23 Tote und über 250 Verletzte ist die traurige Bilanz von zwei zeitgleich verübten Attentaten auf die beiden größten Synagogen Istanbuls. Die Bomben waren jeweils in einem Kleinlaster deponiert und am Samstagmorgen, zum jüdischen Sabbat, gezündet worden. Ob die Attentäter sich dabei selbst in die Luft sprengten oder die Bomben ferngesteuert gezündet wurden, war bis gestern Abend noch unklar. Die Detonationen hatten eine solche Stärke, dass ganze Straßenzüge zerstört wurden. Die türkische Polizei fahndet mit Unterstützung israelischer Kollegen fieberhaft nach möglichen Tätern.

Laut unbestätigten Meldungen wurden bislang drei Verdächtige festgenommen und werden verhört. Da die Synagogen Ziel der Anschläge waren, geht man in der Türkei davon aus, dass militante islamische Extremisten hinter dem Terroranschlag stehen. Tatsächlich meldete sich die kleine türkische islamistische Terrorgruppe IBDA/C und reklamierte die Tat für sich. Die Behörden gehen jedoch davon aus, dass die IBDA/C, deren Führungskader bereits vor Jahren verhaftet wurden, zumindest allein nicht in der Lage wäre, einen solchen koordinierten Doppelschlag durchzuführen. Sowohl Ministerpräsident Erdogan als auch Außenminister Gül sprachen deshalb von einem internationalen Terrorakt aus dem Al-Qaida-Umfeld.

Der israelische Außenminister Silvan Schalom, der gestern Morgen an den Schauplätzen der Anschläge den Opfern und ihren Angehörigen kondolierte, hatte zuvor gesagt, die Art und Weise, wie in Europa über Israel gesprochen werde, begünstige solche Taten. Weltweiter Antisemitismus sei der Nährboden für Terroranschläge gegen Juden.

Von den 23 Toten gehören sechs zur Jüdischen Gemeinde in Istanbul. Alle anderen sind Anwohner und Ladenbesitzer aus den beiden Straßen, in denen die Synagogen liegen. Vor allem im Umfeld der Hauptsynagoge Neve Shalom in der historischen Altstadt Istanbuls hatte der Anschlag eine verheerende Wirkung.

Die Attentate auf die beiden Synagogen wurden weltweit scharf verurteilt. Vom amerikanischen Präsidenten Bush über den Papst bis hin zur deutschen Regierung und der EU-Präsidentschaft wurde der Terroranschlag scharf verurteilt. Die türkische Regierung war wie das ganze Land total geschockt. Ministerpräsident Erdogan sprach von einem Attentat auf den Frieden in der Türkei. Auch ein Sprecher der Jüdischen Gemeinde betonte, die Attentate richteten sich nicht speziell gegen Juden, sondern gegen alle Menschen in der Türkei. JÜRGEN GOTTSCHLICH

brennpunkt SEITE 3meinung und diskussion SEITE 11kultur SEITE 15