Sieg des Textsalats

Zwischen Dreißigjährigem Krieg, Auschwitz und Andy Warhol: Das Doppelgespann Fritz Kater und Armin Petras verzettelt sich mit „Mach die Augen zu und fliege oder Krieg böse 5“ am Thalia in der Gaußstraße

Immerhin: Dieser Theaterbesuch macht Lust auf mehr. Nicht gerade auf eine ähnlich zerfaserte Text-Tanz-Collage wie Mach die Augen zu und fliege oder Krieg böse 5 (bereits der riemenlange Titel lässt Böses ahnen), wohl aber auf die Lektüre eines vor langer Zeit verhassten Pflichtlesestoffs im Deutschunterricht.

Grimmelshausens Simplicissimus ist bei diesem von Fritz Kater und der Tänzerin Pernille Sonne konzipierten Stück, das am Wochenende im Thalia in der Gaußstraße gastierte, eine der wichtigsten Textgrundlagen. Die Geschichte vom etwas tumben Schafhirten, der in die Wirren und Grauen des Dreißigjährigen Kriegs gerät, wird hier in groben Zügen eher nacherzählt als nachgespielt – ein überbordender Stoff, der allein für mehrere Theaterabende ausreichen würde.

Aber das preisgekrönte Autoren-Regie-Doppelgespann Fritz Kater/Armin Petras, das mit handlungsprallen Ost-West-Geschichten Furore gemacht hat, geht den umgekehrten Weg. Es klebt an den Simpl noch haufenweise anderes Textmaterial, was zusammengenommen nicht im Entferntesten eine Gesamtgeschichte ergibt.

Fritz Katers Ausgangspunkt bei dieser Auftragsarbeit für das Schauspiel Frankfurt war die Beobachtung, dass sich Blinde in einem Gefühl körperlicher Unsicherheit bewegen, einem permanenten Ausnahmezustand, ähnlich dem des Krieges. Die Tänzerin Pernille Sonne ist blind, und sie bewegt sich, gemeinsam mit ihrer Kollegin Lara Kugelmann, die auch die Choreografie erarbeitet hat, meist im Doppelpack über die karge, nur von ein paar dünnen Schaumstoffmatratzen bedeckte Bühne. Was diese fließenden, meist kreisförmigen Bewegungen mit dem Simpl zu tun haben, muss man sich schon selbst herbeiassoziieren. Wie wär‘s mit Dreißigjähriger Krieg, barockes Vanitas-Gefühl, alles Leben ist nichtig und dreht sich sowieso im Kreis?

Aber das ist noch nicht alles. Weitere Zutaten im Textsalat: Briefwechsel der blinden Tänzerin und der sehenden Tänzerin über Farben, Kindheitserinnerungen und Probenstress. Auszüge aus Sophokles‘ Trachinierinnen, worin Krieg, Untreue und Mord vorkommen. Ein Mythos aus dem Polynesischen über Polygamie. Dazwischen philosophische Betrachtungen über den Krieg, Videos und viel Musik. Und nach der Pause Auszüge aus dem Brief eines Auschwitz-Überlebenden.

Keine Frage, die meisten Texte sind interessant, und es gibt bewegende Momente, etwa wenn eine blinde junge Frau im Video mit unglaublicher Hingabe einen Hit von Whitney Houston singt. Doch die Menge erschlägt selbst den gutwilligsten Zuschauer. Man hätte dieser Inszenierung entschieden mehr Prägnanz gewünscht. Aber Achtung: Wer ein wirkliches gelungenes Stück von Kater und seinem Alter ego Petras sehen will, der hat morgen am selben Ort Gelegenheit dazu. Dann wird in we are camera/jasonmaterial die spannende und lustige Geschichte erzählt, wie ein DDR-Spion mit seiner Familie vom Westen in den Osten flieht. Karin Liebe

„we are camera/jasonmaterial“: morgen, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße