„Wann lohnt sich der Dialog?“

Der Erzieher Torsten Lübke lässt Kinder selber entscheiden, was sie wollen

TORSTEN LÜBKE, 46, ist Diplomsozialpsychologe und der Leiter der Kita Tornquiststraße in Hamburg.

Wenn Kinder bestraft werden, können sie damit keine Einsicht gewinnen. Sie sollten vielmehr möglichst früh die Gelegenheit erhalten, selbst Entscheidungen zu treffen. Unsere Erfahrung ist, dass sie dann auch die von den Erwachsenen aufgestellte Regeln besser akzeptieren.

Bei uns in der Kita werden Kinder nicht hingelegt, sie legen sich hin. Wir Erwachsene sollten nicht für Kinder entscheiden. Sie werden hier auch nicht gewickelt, wenn sie das nicht wollen. Was uns keine Probleme macht: Beim zweiten oder dritten Mal wollen sie es sowieso.

Ein Problem heutzutage ist, dass die Eltern beruflich so eingespannt sind und sich zu wenig Zeit für ihre Kinder nehmen. Erwachsene müssen den Kleinen Angebote machen und sie begleiten, Dinge mit ihnen unternehmen.

Wenn sie Wahlmöglichkeiten haben, dann sitzen Kinder nicht stundenlang vor dem Fernseher, dann wählen sie die Vielfalt. Kinder sind bereits im frühesten Alter in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Schon Einjährige können darüber entscheiden, ob sie am Tisch sitzen wollen oder nicht. Bei uns gibt es keine Hochstühle, die die Kinder am Tisch festhalten. Auch wird niemand zum Essen gezwungen. Wenn ein Kind gierig nach dem Dessert greift, dann soll es dieses halt zuerst essen. Kartoffeln und Fleisch verspeist es dann einfach danach in aller Ruhe – das ist besser, als wenn es die Hauptspeise runterschlingt, nur um schnell das Dessert zu kriegen. Früher wurden mit den Kindern Machtkämpfe ausgetragen, die die Erwachsenen nur verlieren konnten. Zum Schluss spuckt das Kind einfach ins Essen oder es macht in die Hose, wenn man will, dass es trocken wird.

Eltern und Erzieher müssen sich fragen, in welcher Situation sich der Dialog oder die Auseinandersetzung lohnt und wann es sinnvoller ist, eine Regel aufzustellen. Wenn ein Kind ein Medikament einnehmen muss, dann muss es das einfach. Wieso muss es aber Käse zum Frühstück essen, wenn es keine Lust darauf hat?

Erziehung ist eine Gratwanderung: Wir dürfen weder auf die autoritäre noch auf die antiautoritäre Erziehung setzen. Wir brauchen ein neues Denken, das sich an einem partnerschaftlichen Umgang orientiert. Schließlich können auch wir Erwachsene immer wieder von Kindern lernen.

PROTOKOLL: FLORIAN BLUMER