Rosarote Delfine

In den überfischten Gewässern vor Hongkong finden die Meeressäuger kaum noch Nahrung, dafür gibt es reichlich Unrat und Plastiktüten

VON RASSO KNOLLER

Eine Tour zu den rosaroten Delfinen vor der Insel Lantau gehört zu den zehn größten Sehenswürdigkeiten von Hongkong. So steht es zumindest im Reiseführer. Und es steht auch, dass die Tiere vom Aussterben bedroht seien. Deshalb der Tipp: Machen Sie die Tour möglichst bald!

Der Bus der Hong Kong Dolphin Watch Society holt mich und zehn andere Mitreisende am Hotel ab. Unsere Führerin Lucie erklärt uns während der etwa dreiviertelstündigen Fahrt zum Hafen, dass nur noch etwa 180 Delfine in Hongkongs Gewässern leben. Unser Weg führt an riesigen Landaufschüttungsgebieten vorbei. An kaum einem anderen Ort der Erde leben so viele Menschen auf so engem Raum, deswegen ist jeder Quadratmeter bebaubares Land kostbar. Auch das Bauland für den riesigen Flughafen wurde dem Meer abgerungen. Wo heute Jumbos aus aller Welt landen, zogen noch vor wenigen Jahren die rosaroten Delfine ihre Bahnen.

Aber nicht nur Landgewinnung bedroht den Lebensraum der seltenen Tiere, das Meer vor Hongkong gehört zu den am stärksten befahrenen Wasserstraßen der Welt, und Zusammenstöße zwischen Delfinen und Schiffen sind keine Seltenheit. Viele junge und unerfahrene Tiere finden ihr Ende in einer Schiffsschraube oder in den Fangnetzen eines Fischkutters.

„Die Fischer von Hongkong haben nichts gegen die Delfine“, betont Lucie. Das mag man ihr durchaus glauben, doch Sympathie allein hilft den Delfinen wenig. Zumal Mensch und Tier in den überfischten Gewässern vor den Toren der Millionenstadt auch um die knappen Nahrungsressourcen wetteifern.

Wer an einer „Delfinsafari“ teilnimmt, wird mit 96-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch Tiere sehen – das jedenfalls sagt die Statistik der Dolphin Watch Society. Bei einer solchen Quote ist es dann auch kein Risiko, wenn die Veranstalter Touristen, die keinen Delfin sehen, einen kostenlosen Zusatztrip anbieten.

Nach knapp einer Stunde ist es dann tatsächlich so weit. „Delfine um zehn“, gibt der Kapitän von der Brücke in Seemannssprache den Hinweis. „Halb links vor dem Schiff“, heißt das übersetzt, und dort soll man in ungefähr 200 Meter Entfernung eine Delfinmutter mit Kind sehen können. Und wirklich, am Horizont … nein, das ist nur eine Plastiktüte, und da noch eine … Der erste Kontakt mit den Meeressäugern fällt enttäuschend aus. Inmitten der Plastiktüten und leeren Flaschen im Meer vor Hongkong sind die beiden Delfine kaum zu sehen. Lucie zeigt auf Nachfragen ein Foto von einem Tier, das eine Plastiktüte über dem Kopf hat. „Wir haben versucht, es zu retten und von der Tüte zu befreien“, erklärt sie. „Erfolglos.“ Das Tier sei erstickt.

Wenn es wenigstens nur Tüten wären: 1,5 Millionen Liter ungeklärtes Abwasser gelangen Tag für Tag ins Meer vor Hongkong, 400 Millionen davon strömen vor Lantau, dem Lebensraum der Delfine, in den Ozean. Das wird auch noch einige Jahre so bleiben, denn erst 2008 wird zumindest eine Vorbehandlung der Abwässer vorgenommen. Besonders die Jungtiere leiden unter der Umweltbelastung. „Es werden immer wieder tote Delfine an Land geschwemmt, und die meisten davon sind noch Babys“, sagt Lucie.

Ein Ruf vom Ruder unterbricht ihre Ausführungen. Wieder hat der Kapitän einige Delfine gesichtet, und diesmal sind sie auch deutlich zu erkennen. Eine Gruppe von vier oder fünf Tieren taucht nur einhundert Meter vor dem Schiff auf. Um sie nicht zu stören, drosselt der Kapitän die Geschwindigkeit, und unter vielen „Ohs“ und „Ahs“ klicken an Bord die Kameraauslöser. Bei unserer Ausfahrt wird die Sichtungsquote mehr als erfüllt, denn bevor unser Boot den Heimathafen ansteuert, haben wir mehr als ein Dutzend der faszinierenden, schönen Tiere gesehen.

Der Reiseführer irrt nicht, wenn er die Delfinsafari als großes Erlebnis anpreist. Bleibt nur zu hoffen, dass er sich mit seiner zweiten Aussage irrt, die das baldige Aussterben der Tiere voraussagt.