Chronik jener „Ereignisse“, Teil 2
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Da es Polizei und Armee nicht gelang, in die Kommandostrukturen von FLN und ALN einzudringen, bedienten sie sich der „Spezialbefragung“, um zu „Erkenntnissen“ zu gelangen. Im März 1955 erhielt der damalige Innenminister François Mitterrand den Wuillaume-Bericht, der die Folterpraktiken offen legte. Doch der Bericht blieb so folgenlos wie der Rücktritt eines Generals aus Protest gegen die Folter und wie die Kritik zahlreicher Intellektueller und Künstler.

Am 13. Mai 1958 riss in Algier ein „Comité du salut public“ die Macht an sich. In Paris nutzte Politpensionär General de Gaulle den Gewaltstreich für sein eigenes politisches Comeback. Er kandidierte als Regierungschef und formulierte hierfür seine Bedingungen: Er verlangte für sich Sondervollmachten für Algerien, die Beurlaubung des Parlaments und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Am 1. Juni 1958 wählte ihn die Nationalversammlung zum Regierungschef. Die IV. Republik war damit Geschichte.

Nach einigen Monaten des Taktierens bekannte sich de Gaulle am 16. September 1959 zur „Selbstbestimmung“ der Algerier. Die Militärs, die de Gaulle faktisch an die Macht gebracht hatten, fühlten sich betrogen. In einem Referendum im Januar 1961 votierten drei Viertel der Franzosen für die Selbstbestimmung der Algerier und damit auch für Verhandlungen mit dem FLN. Am 22.April 1961 versuchte „eine Hand voll pensionierter Generäle“ (de Gaulle) in Algerien zu putschen. Der Staatspräsident erhielt erneut Sondervollmachten und forderte die loyalen Truppen auf, „diesen Leuten das Handwerk zu legen“.

Der Widerstand brach zusammen. Die Putschgeneräle gründeten im Untergrund die „Organisation de l’armée secrète“ (OAS). Diese begann in Algerien und Frankreich mit ihrem Bombenterror – allein zwischen Mai und Oktober 1961 gab es 726 Anschläge.

Seit Februar 1961 existierten Kontakte zwischen der französischen Regierung und dem FLN, was zu Verhandlungen führte, die am 18. März 1962 mit der Unterzeichnung der Verträge von Evian den Krieg beendeten und Algerien im Juli 1962 die Unabhängigkeit brachten.

Mindestens 150.00 Algerier kamen zwischen 1954 und 1962 ums Leben. Frankreich verlor 30.000 Soldaten und mehrere tausend Zivilisten. Nach dem Waffenstillstand wurden 60.000 bis 120.000 Harkis – Algerier, die in der französischen Armee gedient hatten – aus Rache ermordet. Eine Million Algerienfranzosen flüchteten nach Frankreich; die wirtschaftlichen und psychologischen Bürden des Exodus wirken bis heute nach. Algerien stürzte in das Chaos einer von Militärs dominierten Parteidiktatur. RUDOLF WALTER