Hypotonische Fleischlichkeit

Wenn gierige Gerüche aus Hemdkrägen wieseln und Feuchtgenebel in Häuser und Waggons fieselt: Katja Kullmanns Erzählung „Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad“

Wie angelt man sich einen Feuilletonredakteur? Katja Kullmann weiß es. Oder zumindest weiß sie, wie man es nicht machen sollte. Immerhin hat die 1970 geborene Autorin so einige Erfahrungen im Zeitungsgeschäft gesammelt. Einst war sie Redakteurin beim Lifestylemagazin Prinz, und vor zwei Jahren hat sie in ihrem Sachbuch-Bestseller „Generation Ally“ die Schwierigkeiten des Frauseins in modernen Zeiten erklärt und dabei nicht ungeschickt die Kluft zwischen den Frauengenerationen überbrückt.

Ganz anders gepolt ist die Heldin ihres ersten Romans, Simone, genannt Mona. Die ist Kosmetikerin und kennt sich aus mit Cremes und Tiegeln, Masken und Farben, mit störenden Härchen und verstopften Poren. Eine Zeitung, so eine dicke mit vielen Seiten und wenig Bildern, hat Mona dagegen noch nie gelesen. Das ändert sich, als ein fescher Jungredakteur das Kosmetikstudio, in dem sie arbeitet, betritt. Bei seinen wöchentlichen Besuchen kommen sich beide näher. Während sie ihm fachkundig die Pickel ausquetscht und die Fingernägel feilt, redet er schlau daher. Dabei ist der Mann ein Muster an Zurückhaltung: „Nie packte er ihr an den Po“, aber „ständig griff er ihr ins Gehirn, so kam es ihr vor.“

Aus Liebe zu dem charmanten Formulierungskünstler liest Mona nun jeden Tag seine Zeitung. Von vorn bis hinten. „Fiebrig“ blättern ihre Finger sich durch den Papierhaufen, und sie begeistert sich „tapfer an jeder zeilenlangen Satzkonstruktion“ und versteht allmählich selbst schwierige Begriffe wie „Vermittlungsausschuss“, „Larmoyanz“ oder „Energieschock“. Kurzum: Sie wird klüger, er wird schöner. Obwohl er auch vorher schon gut aussah. Mit seinen waldseegrünen Augen, dem honigblonden Haar und den rosafarbenen Mundwinkeln, „ein jugendliches Altrosa im weitesten Sinne“.

„Längst hätten sie sich verabreden sollen, privat.“ Aber nur „sein Blick bohrte an ihr herum“, und statt sich für ihre Formen zu begeistern, beschreibt der intellektuelle Schlaffmann bloß „die Rundungen einer bestimmten italienischen Kaffeemaschine“. Langsam wird sie ungeduldig. Und dann noch dieses Wetter: „Feuchtigkeit, gepaart mit Wärme.“ Das „Feuchtgenebel fieselte in Häuser und Waggons“, überall „die feuchtwarme Unzufriedenheit ringsum“, und abends sind ihre „Zehen auf eine laue Art klamm“. Da besinnt sich Mona auf ihre ureigene Kunst: Schlitz im Rock, schwarze Unterwäsche, und statt Nylons ein „sauteures Spray“, das bewirkt, dass sich Beine saftig anfühlen, „wie Beine sich in den köstlichsten Träumen von Männern und Frauen anfühlen“.

Endlich ist Schluss mit der Gehirngrapscherei, seufzt erleichtert der Leser, endlich fasst er ihr an den Po. Doch weit gefehlt. Aus seinem Hemdkragen „wieselte ein gieriger Geruch, es war eine höchst fleischliche Situation“, aber berühren tut er sie einfach nicht. Da „klappte sie ihre Schenkel zu, unwillkürlich“. Und er, eloquent wie immer, sagt: „Oh, là, là.“ MARION LÜHE

Katja Kullmann: „Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad“. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2004, 174 Seiten, 14,90 Euro