Eine Schule und ein Verdacht

In Spandau hat ein neues Privatgymnasium eröffnet. Der Träger soll einer Vereinigung nahe stehen, die die Gesellschaft islamisieren will. Das ist ein Verdacht, Beweise gibt es bislang nicht. Was tun?

VON SABINE AM ORDE

In der Spandauer Wilhelmstraße, dort, wo früher die britische Panzerkaserne war, hat eine neue Privatschule eröffnet. Seit zehn Tagen lernen hier 22 GymnasiastInnen in zwei siebten Klassen. Geht alles glatt, sollen die Kinder später ein bilinguales deutsch-englisches Abitur ablegen, als zweite Fremdsprache ist Türkisch im Angebot. All das klingt nicht besonders aufregend – und doch hat es hat für viel Wirbel gesorgt: Der liberale Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) hat Bedenken angemeldet, der Innenausschuss debattiert, Innensenator Ehrhart Körting und Bildungssenator Klaus Böger (beide SPD) sahen sich genötigt, sich zu der Schule zu äußern.

Denn Träger der Schule ist ein türkischer Verein, das Türkisch-Deutsche Sozialbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (Tüdesb), und über den ist wenig bekannt. Aber es gibt einen Verdacht: Tüdesb soll Verbindungen zur Nurculuk-Bewegung um den türkischen Prediger Fethullah Gülen haben, der inzwischen in den USA lebt. Das ist nach Angaben des Freiburger Islamwissenschaftlers und Nurculuk-Kenners Martin Riexinger eine konservativ-islamische Bewegung, die über Missionierung die Islamisierung der Gesellschaft erreichen will und die weltweit ein Netz von Schulen aufbaut. In Stuttgart soll es bereits eine solche Privatschule geben.

Geht die Bildungsverwaltung also naiv mit einer Gruppe um, die die Bundesrepublik islamisieren will? Lässt sie zu, dass sich diese in den hiesigen Schulen breit macht? Oder schlägt hier der Generalverdacht gegen türkische – und damit in der öffentlichen Wahrnehmung automatisch islamische – Vereine zu?

Tüdesb selbst streitet die Vorwürfe ab. „Das stimmt nicht“, sagt Vorstandsmitglied Soner Eroglu. „Wir haben bereits rechtliche Schritte eingeleitet.“ Sein Verein wurde vor zehn Jahren in Kreuzberg gegründet, seither hat Tüdesb nach eigenen Angaben in seinen Räumen in Kreuzberg, Wedding, Neukölln und Spandau vor allem Hausaufgabenhilfe und Nachhilfeunterricht für türkische SchülerInnen angeboten; auch Deutschkurse und Computerschulungen gibt es. Seit dem vergangenen Jahr betreibt er eine Kindertagesstätte in der Kreuzberger Schönleinstraße, in dem 30 Kinder zweisprachig erzogen werden. Im Januar hat der Verein, der laut Selbstdarstellung weder politische noch religiöse Ziele verfolgt, den schriftlichen Antrag für ein Privatgymnasium gestellt.

Die Bildungsverwaltung hat die Satzung geprüft, das Vereinsregister befragt, Informationen über die Vorstandsmitglieder eingeholt, Lehrpläne und Lehrer gecheckt – was man eben so tut, wenn die Genehmigung für eine Privatschule beantragt wird. Und sie hat die Genehmigung erteilt. „Die können wir nur ablehnen, wenn es gerichtsverwertbare Informationen gegen den Träger gibt“, sagt Bögers Sprecherin Rita Hermanns. „Und die gibt es nicht.“ Eine Anfrage beim Verfassungsschutz hat die Bildungsverwaltung nicht gestellt, die ist im Prüfverfahren nicht vorgesehen.

Der Verfassungsschutz hätte keine Bedenken gehabt. Über eine Verbindung zwischen Tüdesb und der Nurculuk-Bewegung habe man keine Erkenntnisse, hat inzwischen Innensenator Körting verkündet. Auch die Nurculuk-Bewegung selbst werde vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. Sie sei eine religiös sehr konservative Bewegung, aber, so Körting, das seien die Jesuiten auch. „Die werden ja auch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.“ Man könnte hinzufügen: Die Jesuiten betreiben in Berlin seit Jahrzehnten eine angesehene Privatschule: das Canisius-Kolleg.

Also alles im grünen Bereich? Ganz so einfach ist es nicht. Denn ganz von der Hand zu weisen sind die Verdachtsmomente gegen Tüdesb nicht. In der türkischen Community, so hört man, wird der Verein seit Jahren als Teil der Nurculuk-Bewegung wahrgenommen. Der Vorwurf wird klar formuliert, er soll so in der Zeitung stehen – auch wenn man ihn bislang nicht beweisen kann. Doch zitieren lassen will sich niemand damit. Man scheut Klagen des Vereins.

Auch Islamismuskennerin Claudia Dantschke kann keine Beweise vorlegen. Aber sie sieht Indizien, die nahe legen, dass es Verflechtungen mit der Gülen-Bewegung gibt. Eines davon: die Verbindung zur türkischen Zeitung Zaman, die dem Prediger Gülen nahe steht.

Gegenüber der taz bestätigte Vorstandsmitglied Eroglu, dass Tüdesb in Kreuzberg kostenlos Räume von Zaman nutzt. Nach Dantschkes Erkenntnissen passt das Tüdesb-Gymnasium „genau in das Bild der Gülen-Bewegung“. Denn dies, das sagt auch Islamwissenschaftler Riexinger, baut säkulare Schulen auf, in denen es gar nicht so sehr um Religion geht. Missioniert wird im Umfeld der Schulen, zum Beispiel in Wohnheimen und Freizeiteinrichtungen. Im Spandauer Standort von Tüdesb gebe es eine Wohngemeinschaft, die zum Verein gehört, weiß Claudia Dantschke. Und genau hier liege die Gefahr.

Der Landesbeauftragte für Integration, Günter Piening, hat gegenüber der taz gefordert aufzupassen, dass Grundlage der Auseinandersetzung die Rechtsstaatlichkeit bleibe. „Einschreiten kann man nur, wenn es demokratiefeindliche Entwicklungen gibt.“ Religiös-konservative dagegen müsse man jedoch akzeptieren.

Was also tun? Dantschke und auch TBB-Sprecher Safter Cinar, ein weiterer Kritiker, wollen beide weder den Generalverdacht schüren noch Sondergesetzen das Wort reden. Aber sie haben Bauchschmerzen, wie Cinar es nennt, „wenn solche Organisationen öffentliche Aufgaben im Bildungswesen übernehmen“. Beide fordern mehr Transparenz und Diskussion, der sich Tüdesb stellen müsse. Das sei eine Aufgabe der Zivilgesellschaft. „Nur so kann man feststellen, ob es sich hier um einen Wolf im Schafpelz handelt“, sagt Claudia Dantschke.

Hinzu kommen große Zweifel, ob der Senat das Problem richtig einschätzen kann: „Nach dem Desaster um die islamische Grundschule und den islamischen Religionsunterricht“, sagt Cinar, „haben wir kein großes Vertrauen, dass die Schulverwaltung in der Lage ist, das adäquat zu beurteilen.“ Die umstrittene Islamische Föderation hat sich – gegen den Willen der Schulverwaltung – durch alle Instanzen das Recht erstritten, an Berlins Schulen islamischen Religionsunterricht erteilen zu können. Die Schulverwaltung, die sich jahrelang gegen die Einführung von Islamunterricht sperrte und eine Reform des Religionsunterrichts verpasste, hat aber den Sieg der Islamischen Föderation erst möglich gemacht. Sie hat es auch nicht vermocht, eine Organisation, die inzwischen mit richterlichem Segen als Tarnorganisation des islamistischen Verbands Milli Görüs bezeichnet werden darf, aus den Schulen fernzuhalten.

Zur Islamischen Föderation gehört auch das Islam Kolleg, das Träger der Islamischen Grundschule ist. Cinar befürchtet, dass das Land nun einen ganz ähnlichen Fehler begehe.

Spätestens in fünf Jahren kann die Bildungsverwaltung – wenn nötig – ihre Entscheidung revidieren. Dann nämlich entscheidet sich, ob das Spandauer Privatgymnasium eine öffentlich anerkannte Schule wird mit allgemein gültigen Zeugnissen und Abschlüssen. Dann könnte Tüdesb auch eine Förderung des Landes beantragen. „Bei der Anerkennung“, sagt die Sprecherin der Bildungsverwaltung Hermanns, „wird viel genauer geprüft als bei der Genehmigung.“