Kinder sollen mit vier Jahren zur Schule

Experten für totale Reform des Bildungssystems: Frühere Einschulung, weniger Ferien und kein Sitzenbleiben mehr

BERLIN taz ■ Studien werden viele erstellt – aber selten enthalten sie so viel Sprengkraft wie die, die gestern von Dieter Lenzen, dem Präsidenten der Freien Universität in Berlin, vorgestellt wurde. Unter dem Titel „Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt“ wird darin eine Version für ein Bildungssystem im Jahr 2020 entworfen, die mit dem jetzigen nichts mehr gemein hat: Einschulung ab vier Jahren, Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems und Ganztagesschulen lauten nur einige der Forderungen der Studie, die das Basler Prognos-Institut im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft erstellt hat.

Das deutsche Bildungswesen sei zu wenig leistungsorientiert, sozial selektiv und insgesamt reformunfähig, lautet die vernichtende Kritik von über 70 befragten Experten aus Schule, Wissenschaft und Wirtschaft. Das sei umso gravierender, als man durch den demografischen Wandel einen dramatischen Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften auszugleichen habe. „Deshalb müssen wir alle Bildungsreserven nutzen, wenn wir unser derzeitiges Wohlstandsniveau in Zukunft halten wollen“, so Mitautor Lenzen. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als die eigene Bevölkerung auf ein höheres Bildungsniveau zu heben.“

Dafür listet die Studie umfangreiche Reformen auf, die bis spätestens 2020 verwirklicht werden sollen. Die Grundschulzeit soll auf 6 Jahre ausgedehnt werden, daran schließt sich verpflichtend eine so genannte 4-jährige Sekundarstufe an. Daneben soll es als zweites Glied das 7-jährige Gymnasium geben – womit das übliche dreigliedrige System abgeschafft wäre. Gleichzeitig sollen Lernziele, Unterrichtsinhalte und Lehrmethoden überarbeitet werden, denn diese seien hoffnungslos „veraltet“.

Die kürzere Schulzeit soll gleichzeitig intensiver genutzt werden: Ganztagsunterricht, verkürzte Ferienzeiten und bessere Förderung lernschwacher Schüler heißen hier die Vorschläge. Außerdem sollen Noten durch Leistungspunkte und inhaltliche Bewertungen ersetzt und das Sitzenbleiben abgeschafft werden. Parallel dazu soll die Grundschule flexibler und eng mit den Kindergärten verzahnt werden. Fitte Kinder sollen so die Möglichkeit haben, ab dem vierten Jahr nicht nur Lesen und Schreiben zu lernen, sondern auch früher eingeschult zu werden. „Entscheidend ist nicht mehr das Alter, sondern die individuellen Fähigkeiten“, so die Vorstellung von Lenzen. Er verwies auf Holland, wo schon Vierjährige Lesen und Schreiben lernen – während die Einschulung in Deutschland im Schnitt mit 6,5 bis 6,7 Jahren erfolgt.

Aber auch Lehrer werden sich nach den Vorstellungen der Studie umstellen müssen: Sie sollen zu „Lehrprofis auf höchstem Niveau, ohne Beamtenstatus“ werden, die ganztags in der Schule anzutreffen sind. Und: Statt der Schulferien soll es nur noch einen kürzeren „Schulurlaub“ geben. SUSANNE AMANN