berliner szenen In allen Lebenslagen

Beratung am Kiosk

Seine Beine verschwinden hinter dem Kiosk-Tresen. Peter ist ohne Unterleib, täglich von sechs bis mittags. Er ist Weddinger Kioskverkäufer, schnurrbärtig und trägt gern Seidenhemden.

Erika kommt herein. „Peter, ich hab meine Rubbellose vergessen.“ Erika vermutet, die Lose hätten auf der Zweiten Hand gelegen, irgendwer habe sie genommen, „und der hat jetzt 100.000 Euro“. Gerd kommt herein, Lottoschein in der Hand. „Sind schon wieder vier Wochen rum, Gerd, muss ich mir mal wieder die Füße waschen – schon fünf Wochen vorbei? – ach, deswegen stinkt’s so.“ Ali kommt herein. „Es geht doch ganz liberal bei mir, sogar Araber dürfen bei mir einkaufen. Biste überhaupt Araber, Ali?“ Ali lacht und nickt. Dann schaut er vier Minuten auf fünf Telefonkarten, auf denen dasselbe gelbe Auto abgebildet ist, bevor er kauft.

Bela kommt herein. „Ungar und ein Alkoholiker“, erklärt Peter allen, die in den Zeitschriften wühlen, nachdem Bela mit Kurzen den Kiosk verlassen hat. Peter sagt, er rate Bela manchmal, ein paar Tage mit dem Trinken aufzuhören. Bela mache das dann. Auch anderen rät er was, Fatima zum Beispiel, der Blondgefärbten, die ihren Kopf durch die Tür steckt und sich schon oft hier gestritten habe mit ihrem Freund. Peter hofft, dass er immer das Richtige rät, „ansonsten murksen die sich noch gegenseitig ab, das will ich nicht auf dem Gewissen haben, wenn so was am nächsten Morgen in der Zeitung steht“. Bei kriminellen Geschichten empfehle er immer das, was auch im Gesetz steht.

Erika hat ihre Rubbellose wieder gefunden. „Jetzt noch zwee für meine Tochter, und die werd ich nicht wieder verlieren.“ – „Ist ja auch mit der Mutter schon gestraft.“ – „Wat sachste da, Peter?“ – „Och, nüscht.“ MAREKE ADEN