Rauch aus alten Zeiten

Im Bremerhavener Schaufenster werden seit dem Zweiten Weltkrieg Aale geräuchert. Früher in so genannten Altonaer Öfen, heute elektronisch. Räucherfisch ist eine Delikatesse und hat immer Zukunft, sagt Fischunternehmer Hans-Joachim Fiedler, der pro Jahr etwa 600 Tonnen Fisch umsetzt

VON THOMAS JOERDENS

„Da kriegste Heimweh von“, sagt Wolfgang Hartmann, dem Tränen in die geröteten Augen schießen. Er hat die pechschwarze Eisenklappe seines Räucherofens geöffnet, aus dem es mächtig qualmt und stinkt. Da muss Hartmann rein. Er kneift die Augen zusammen, hält die Luft an und holt aus dem Innern einige Eisenspieße heraus. Daran hängen bronzefarbene Forellen, die Hartmann im Fischereihafen in Bremerhaven zum Verkauf anbietet. Die Tränen haben sich gelohnt. Die ersten Kunden fragen nach den ofenwarmen Fischen.

Der 50-Jährige steht stilecht im blauweiß gestreiften Fischerhemd und mit Elbsegler auf dem Kopf auf dem Gehweg und zeigt Stammkunden sowie Touristen altes Räucherhandwerk. Der dunkle mannshohe Kasten, gebaut vor einem halben Jahrhundert aus schweren Eisenplatten und alten Schiffsplanken, arbeitet wie ein so genannter Altonaer Ofen. Darin wird Fisch auf traditionelle Art im Rauch eines Holzfeuers geräuchert.

Öffentlicher Räucherofen

Die Idee mit dem öffentlichen Räucherofen auf Rollen hatte Hans-Joachim Fiedler, auch Aal-Fiedler genannt. Vor dessen Geschäft „Fiedlers Fischmarkt anno 1906“ räuchert Hartmann seit zwei Jahren an sechs Tagen in der Woche Aale, Bücklinge, Forellen auf eigene Rechnung. Vorher war er in Fiedlers Produktion in der dahinter liegenden Fischhalle angestellt. Heute kann sich Hartmann, gelernter Bäcker und jahrelang als Kochsmaat auf einem Frachter angeheuert, gar nichts anderes mehr vorstellen als draußen am Räucherofen zu stehen. „Dat brummt ohne Ende und meinen Klönschnack habe ich auch.“ Wenn nicht gerade Regen, Eis oder Schnee die Kundschaft fernhalten.

Die Gegend um das „Schaufenster Fischereihafen“ war nicht immer ein Touristenmagnet: Vor dem Zweiten Weltkrieg waren in Bremerhaven etwa 30 Räuchereien ansässig, danach halbierte sich die Zahl. Geblieben sind vier. Eine betreibt Hans-Joachim Fiedler, ein stattlicher Mittfünfziger, dem das dunkle Haupthaar und der Vollbart zusehends ergrauen.

Der Sohn des stadtbekannten Räuchermeisters Hans Fiedler hat den Niedergang der Branche seit den 1960er Jahren miterlebt. Zunächst verschwanden deutsche Fischer von den Weltmeeren; entsprechend ruhig wurde es bei den Auktionen im Fischereihafen. Dort und in den Räuchereien war noch weniger los, als den Leuten mit wachsendem Wohlstand der Appetit auf Fisch verging, weil das einstige Arme-Leute-Essen nicht mehr gut genug war.

Der letzte Räucherer

Trotzdem: Als Fiedler Senior wegen seines Asthmas nicht mehr an den rauchenden Öfen arbeiten konnte, verließ der Junior mit 14 Jahren die Schule und machte „als Letzter in Deutschland“ eine Lehre als Fischräucherer. „Ich habe sofort zugesagt. Ich bin ja quasi in der Räucherei aufgewachsen.“

Anfang der 1970er Jahre übernahmen Hans-Joachim und Hans-Walter, einer seiner beiden Brüder, die 1947 in einer Waschküche gegründete Räucherei in Wulsdorf, im Süden Bremerhavens. Sie räucherten neben Aal als erster Seestadt-Betrieb auch Lachs, damals noch ein Luxusfisch. Die Fiedler-Söhne hielten das Niveau und erhöhten den Umsatz.

Neben Fischverkäufern, Großhändlern und Laufkunden bauten sie den Versandhandel auf. Die Touristen wollten Räucherfisch auch zu Hause essen. „Vor allem in der Zeit vor Weihnachten wurde bei uns überall und den ganzen Tag geräuchert, so dass die Nachbarn manchmal dachten: Bei Fiedlers brennen die Garagen“, erinnert sich Fiedler grinsend. Als eines Nachts tausend Lachsseiten auf die Glutkisten gefallen und verkohlt waren, schaffte sich der Räuchermeister Elektroräucherkammern an. Ein Novum in der Bremerhavener Fischräuchererszene, die rasch nachzog. Die Öfen machten die Räucherer unabhängig vom Wetter, erleichterten die Arbeit und verbesserten gerade beim Lachs den Geschmack.

Neue Ideen brauchte Fiedler auch 1988. Er war aus dem Familienbetrieb ausgestiegen und hatte am heutigen Standort im Fischereihafen sein eigenes Unternehmen gegründet. Er legte in der ehemaligen Fischhalle mit drei Angestellten und zehn Altonaer Öfen. Doch strenge Umweltauflagen für die Filteranlagen, der Nematoden-Skandal und der Firmensitz in einer Abbruchgegend mit Müll und Ratten erschwerten Fiedler den Start.

Rettung versprach das Projekt „Schaufenster Fischereihafen“, eine Initiative der Fischereihafen Betriebsgesellschaft. Der Kerngedanke: Der Verbraucher sollte wieder Vertrauen zum Fisch gewinnen, mehr Fisch kaufen und überdies ein Erlebnis mit nach Hause nehmen.

Fiedler tauschte die miefende Räucherkluft gegen einen schnieken Geschäftsanzug und verhandelte fortan mit Senatoren und Vertretern der Wirtschaft über Fördermittel und Konzepte für Bremerhavens neues „Schaufenster“. Nach und nach eröffnete Fiedler einen Fischladen, ein Kolonialwarengeschäft und diverse Fischrestaurants. Derzeit stehen auf seiner Lohnliste 90 Menschen, darunter auch seine drei Söhne, die das Geschäft irgendwann übernehmen sollen.

Delikatesse Räucherfisch

„Räucherfisch ist eine Delikatesse und hat immer Zukunft“, sagt der Fischunternehmer, der jährlich mehr als 600 Tonnen Fisch umsetzt. Den Massenmarkt lehnt Fiedler trotzdem ab, weil er Qualität und Preise verdirbt und den Fischbestand gefährdet. So steht Fiedlers Lieblingsaal, der Europäische Aal oder „Anguilla anguilla“, seit 1998 in Deutschland auf der Roten Liste und wurde zum Fisch des Jahres 2009 erklärt, um einmal mehr auf dessen Schutz hinzuweisen. Fiedler bezieht seine Aale aus Aquakulturen in Italien oder Norwegen seit drei Jahrzehnten. Auch für Aquakulturen müssen junge Glasaale aus dem Meer gefischt werden, weil Aale nicht gezüchtet, sondern lediglich aufgezogen werden können.

„Sehr wichtig ist die Qualität der Rohware und dass man jeden Fisch für sich betrachtet. So wird ein Gelbaal anders geräuchert als ein Blankaal.“ Fiedler hat sein Fisch- und Räucherwissen längst weitergegeben. Mit den richtigen Tricks und Kniffen können seine Räucherer einen Aal in einem modernen Elektro-Ofen fast ebenso gut räuchern wie in einem Altonaer Ofen, der nach wie vor als das Maß der Dinge gilt. Von den historischen Öfen stehen bei Fiedler noch drei Stück; sie werden aber nur noch selten angefeuert.

Das Traditionsfähnchen hält Hartmann hoch. Er hat gegen Mittag noch eine zweite Fuhre Forellen in den Ofen gehängt und wird die gut 30 Fische noch am Nachmittag unters Volk bringen. Beim Räuchern ist Hartmann Purist. Außer dem Rauch von Buchen- und Erlenholz lässt der Profi nichts an seine Fische. Lorbeerblätter, Wacholder, Torf oder „geheime Gewürzmischungen“ würden bloß den Geschmack verfälschen. „Ich mag’s am liebsten ursprünglich“, sagt Hartmann. Meister Fiedler nickt. Er hütet zwar wie jeder Räucherer einige Würz- und Salzungsgeheimnisse, weiß aber ebenso: „Manchmal ist weniger mehr.“