ROT-GRÜN MEINT ES MIT SEINER VOLKSENTSCHEID-INITIATIVE NICHT ERNST
: Schaukampf um den Souverän

Übt Rot-Grün schon mal für die Zeit in der Opposition? Beim Thema Bürgerbeteiligung verhielten sich SPD und Grüne gestern jedenfalls so, als seien sie nicht mehr an der Regierung: Sie beschlossen mit einigem Pomp – mit einem eigens einberufenen Gipfeltreffen ihrer Spitzen – einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksentscheiden. Dabei wissen sie, dass er im Bundestag keine Chance auf Umsetzung hat. Mit derartigen Folkloreveranstaltungen simulieren normalerweise Oppositionsfraktionen die Politik, die sie mangels parlamentarischer Mehrheit nicht betreiben können.

Die Union, das hat sie letzte Woche klar gemacht, wird über die Einführung von Volksentscheiden nicht einmal verhandeln. Damit ist die notwendige Zweidrittelmehrheit für den rot-grünen Vorschlag unerreichbar. Wäre es der Koalition ernst mit ihrem Anliegen, würde sie sich mühen, die Union für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. So nutzt Rot-Grün seinen Entwurf nur dazu, sich einmal mehr öffentlich als Verfechter von Bürgerbeteiligung zu inszenieren. Tatsächlich stellt die Koalition Auslagen ins Schaufenster, die es im Laden nicht zu kaufen gibt.

CDU und CSU haben allerdings keinen Grund aufzutrumpfen. Nicht nur verhindert ihre Blockadehaltung eine produktive Diskussion um Vor- und Nachteile von Volksentscheiden. In der Auseinandersetzung um den EU-Beitritt der Türkei haben Unionspolitiker bis hin zu Angela Merkel laut über eine Unterschriftenkampagne nachgedacht. Edmund Stoiber verlangte noch im Juli ein Referendum über die EU-Verfassung. Dazu passt ihr kategorisches Nein nun denkbar schlecht.

Warum verführt die Debatte um Bürgerbeteiligung Parteien regelmäßig dazu, ihre schlechtesten Seiten an den Tag zu legen? Rot-Grün biedert sich den Wählern an, die Union brüskiert sie.

Vielleicht liegt es daran, dass beim Thema Volksentscheid die Politiker mit den Bürgern direkt verhandeln, wie viel Macht die Parteien und wie viel das Volk haben soll. Im Angesicht des Souveräns verlieren Politiker offenbar schnell ihre Souveränität. PATRIK SCHWARZ