Trauermarsch mit Posthorn-Solo

Auch die letzten Global Players wollen ihren Beschäftigten an den Kragen: Die Post will ihren 70.000 Zustellern künftig nur noch eine 30-Stunden-Woche anbieten, fürchten die Gewerkschaftler

„Von 30 Stunden kann niemand leben. Den Leuten droht die Teilzeitarbeitslosigkeit“Zukunfts-Szenario: „morgens Post, mittags Pizza-Service, abends Taxifahren“

Aus HannoverKai Schöneberg

Dass Gewerkschafter und Betriebsräte bei Opel, Karstadt und Co nur noch fassungslos dem Arbeitsplatzabbau zusehen können, ist mittlerweile Alltag im Ringen um den Standort D. Was aber bei den letzten verbliebenen Global Players passiert, war gestern in Hannover zu besichtigen: nämlich das Gleiche, nur viel besser verpackt.

Im vergangenen Jahr habe die Post drei Milliarden Euro Gewinn vor Steuern erzielt, sagte Betriebsratschef Jörg Eggers vor etwa 1.000 pfeifenden und johlenden Briefträgern, die zur Betriebsversammlung ins Congress Centrum gekommen waren. Jetzt plane die „Deutsche Post World Net“, Briefe-Sortieren und Zustellen zu trennen. Bei der Post sind zwar bis 2008 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Dafür sollen Schritt für Schritt allen 70.000 Briefträgern in Deutschland nur noch 30-Stunden-Verträge angeboten werden, fürchtet Eggers. In Ostdeutschland werde derzeit bereits in einigen Regionen die 20-Stunden-Woche getestet. „Von 30 Stunden kann doch niemand leben. Die Leute werden in die Teilzeitarbeitslosigkeit gedrängt,“ ärgerte sich Eggers.

Was bei VW mit seinem gut dotierten Haustarif einst tausende Jobs rettete, könnte für viele Briefträger den Schritt in die Armut trotz Arbeit bedeuten. Der Grund: die niedrigen Löhne. Ein Postler kommt derzeit bei einer 38,5-Stunden-Woche auf etwa 1.200 Euro netto monatlich,nur noch gut 900 bekäme er bei einer 30-Stunden-Woche. Einige Manager hätten „wohl den Rachen noch nicht voll“, tönte Eggers. Und: Nur noch der „Gummibärchenonkel“ Thomas Gottschalk „und sein Bruder bekämen für ihre Post-Werbespots das, „was sie verdienen“.

„Meine Miete kostet schon 500 Euro!“, stöhnte eine Dame in Blau-Gelb, „morgens Post, mittags Pizza-Service, abends Taxifahren“, prophezeite Verdi-Sekretär Rolf Bauermeister vielen Beschäftigten. 26 Auszubildende der Niederlassung Hannover wurden bereits zu 30-Stunden-Konditionen übernommen. „Lasst euch nicht davon blenden, dass die Post sagt, vorerst sind es nur ein paar Bezirke“, rief Bauermeister in Richtung Briefträger.

Anstatt weniger Stunden pro Woche brauche die Post mehr Briefträger. Weil viele Postämter massiv unterbesetzt sind, verweigern Betriebsräte in Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein derzeit den Betriebsleitungen die Überstunden. Allein im Bereich der Niederlassung Hannover, die für die Gegend zwischen Nienburg und Hameln zuständig ist, haben sich 80.000 Überstunden angehäuft. „Es sei „unerträglich, dass die Postler ihrer Freizeitabwicklung hinterherbetteln müssen“, ätzte ein Betriebsratsmitglied.

Die hohe Zahl der Überstunden habe ihren Grund darin, dass die Post in den vergangenen Jahren die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich von 3.600 auf 3.000 gesenkt habe, während die Zahl der zugestellten Briefe sich um 30 auf 447 Millionen im Jahr erhöhte. Bauermeister: „Da stimmt doch was nicht. Diese Leistung hat man doch nicht mit neuen Kugelschreibern und besseren Sortiermaschinen, sondern mit euren Knochen erbracht!“ In Bremen gibt es laut Bauermeister inzwischen Zustellbezirke, „in denen die Post nur noch einmal die Woche kommt“, im Emsland seien viele Touren liegen geblieben. Das wollte Betriebsleiter Michael Aude nicht bestätigen: Wegen vom Betriebsrat nicht genehmigter Überstunden seien in diesem Jahr erst 7.000 Briefe einen Tag oder länger liegen geblieben, dagegen über 330.000 wegen der letzten Betriebsversammlung. Nach Buhrufen fügte Aude hinzu: „Ich kann auch abbrechen“. Verdi-Mann Bauermeister: „Wir sind auch in der Lage, zu streiken“.

„Wir wollen unseren Beschäftigten flexiblere Arbeitszeiten anbieten“, sagte Post-Sprecherin Minou Esfrahlany. Bei der 30-Stunden-Woche sei „kein Zwang vorgesehen“. Und: „Es gibt ja auch Menschen, die gar nicht so lange arbeiten möchten“.