Wer ist hier schwach?

betr.: „Hierarchie der Schwachen“, taz vom 3. 4. 09

Wer ist hier schwach? Um Antidiskriminierung geht es in dem Artikel, und die taz sitzt mit der Wahl der Überschrift einer inflationär gebrauchten Formulierung auf, die gleich mehrere Personengruppen diskriminiert. Mit den „Schwachen“ sind u. a. folgende Personen gemeint: alte Menschen mit Reichtum an Lebenserfahrung, Menschen mit Migrationshintergrund, die verschiedene Kulturen und Sprachen kennen, Menschen mit Behinderungen, die kreative Lösungen erarbeitet haben, um unter schwierigeren Bedingungen zu leben und die beim Kampf um gleichberechtigte Anerkennung Charakterstärke beweisen. Gemeint sind also interessante, in der Regel reflektierte Minderheiten, von denen jede/r einiges lernen kann. Das Attribut „schwach“ in diesem Kontext immer wieder zu gebrauchen entbehrt jeglicher Logik und passt wohl eher zu denen, die überanstrengt stöhnen, wenn sie um Rücksichtnahme und Umsicht gebeten werden, obwohl sie unter leichteren, weil „normgerechten“ Bedingungen leben. Antidiskriminierungspolitik muss gerade bei denen ansetzen, die sich nicht dafür interessieren. Wenn es gelänge, die desinteressierte Mehrheit aus starren, realitätsverengenden Denkmustern herauszulocken und sie für spannende Lernschritte zu motivieren, könnte Antidiskriminierungspolitik noch viel mehr sein: der Schlüssel für die Entwicklung zu einer solidarischen Gesellschaft, in der Stigmatisierung origineller Personen als das angesehen wird, was es ist: Schwäche. SUSANNE BAUMSTARK, Berlin