„Berlusconi verkörpert die Krise der liberalen Demokratien“, sagt Paolo Flores D’Arcais

Die linken Parteien in Italien haben versagt. Sie unterschätzen die Gefahr, die von Silvio Berlusconi ausgeht

taz: Herr D’Arcais, warum tun sich die linken Oppositionsparteien in Italien so schwer gegen Berlusconi?

Paolo Flores D’Arcais: Die italienische Linke ist eigentlich schon seit dem Tod von Berlinguer, dem einstigen KPI-Chef, und dem Fall der Berliner Mauer in einer tiefen Krise. Achille Ochetto, sein Nachfolger, hat versucht, die KP zu reformieren. Er hat den Parteinamen in Partei der demokratischen Linken geändert – aber die Strukturen blieben.

Als dann Massimo d’Alema, der Exkommunist, der immer noch mental ein Kommunist war, Premierminister wurde, war die Krise offensichtlich. Paradoxerweise hat die Bestellung eines kommunistischen Premiers nicht Wandel bedeutet, sondern das Gegenteil. Prodi war ein Erneuerer gewesen, d’Alema nicht. Er hat das Zwei-Parteien-System zementiert. Er hat Silvio Berlusconi wieder ins Spiel gebracht. Berlusconi war politisch gescheitert und mit einem Fuß schon im Gefängnis gewesen. D’Alema hat nichts gegen Berlusconis Medienmonopol unternommen und er hat die Justiz gebremst. Er hat alle Hoffnungen auf Erneuerung enttäuscht. Deshalb wurde Berlusconi gewählt.

Sie haben mit anderen, mit Intellektuellen, Schauspielern, Gewerkschaftern, die „Girotondi“-Bewegung ins Leben gerufen. Sie haben eine Million Leute auf die Straße gebracht, ihre Philosophen-Zeitung MicroMega sprang in der Auflage auf 150.000 Stück. Hat das alles nichts gebracht?

Hängt davon ab, welche Maßstäbe man anlegt. Es hat etwas gebracht: Wir haben die linken Parteien aus ihrer Schockstarre, ihrer Lethargie gerissen. Andererseits: Ihre Politik haben sie nicht geändert. Wenn sie wieder gewählt würden, würden sie dieselben Fehler wieder machen: Sie würden nicht gegen Berlusconis Medienkartell vorgehen und auch in der Justizpolitik keine radikalen Schritte machen.

Die linken Parteien haben ihre Initiativen abgeblockt?

Ja. Natürlich haben sie uns umgarnt. Aber nach ein paar Wochen war alles wieder vorbei. Wir haben noch vor den Europawahlen im Frühjahr versucht, sie dazu zu bringen, eine geeinte, offene Liste aufzustellen, damit auch Parteifreie involviert werden können. Aber sie entschieden sich für ihre schöne, kleine Drei-Parteien-Koalition.

Wer sind „sie“? D’Alema und seine Apparatschik-Fraktion?

Ach, eigentlich alle. Francesco Rutelli ebenso, letztlich auch Prodi. Er ist nur rhetorisch offen.

Warum?

Wie alle Parteileute will auch er nur berechenbare Leute um sich haben und hatte eine tiefe Abneigung gegen autonome Leute, autonome Bewegungen. Die Führer der Mitte-links-Parteien können sich eher noch mit den Altstalinisten verständigen, weil das für sie „handhabbare Extremisten“ sind, im Unterschied zu Leuten, die selbstständig denken. Gleichzeitig leistet diese Opposition im Parlament nur halbherzig Widerstand, während Berlusconi das System zu seinen Gunsten umbaut. Sie machen vielleicht auf oppositionell, aber sie sind nicht wirklich überzeugt davon, dass man Berlusconi entschieden bekämpfen muss. Sie betrachten ihn nicht als Gefahr für die Demokratie, sondern als einen Rivalen und einen schlechten Regierungschef.

Ist Berlusconi nur ein italienisches Phänomen? Oder ist er Symptom einer Krise der westlichen Demokratie?

Oberflächlich betrachtet hat er etwas speziell Italienisches, natürlich. Es gab auch andere radikale Konservative in Europa, die keine Gefahr für die Demokratie waren – nehmen wir nur Margaret Thatcher als Beispiel. Frankreichs Gaullisten sind gewiss nicht moderat, aber sie sind eine entschieden antifaschistische Kraft. Berlusconi ist ein Populist, vergleichbar mit den Peronisten, er ist gewissermaßen extra-demokratisch …

Das heißt, er ist nicht gegen die Demokratie, die Demokratie ist ihm eigentlich egal?

Er begreift einfach nicht, was Demokratie ist. Für ihn gibt es keinen Unterschied zwischen dem Regieren eines Staates und dem Führen eines Unternehmens. Er versteht gar nicht, wenn man ihm das vorhält.

Er ist ein reicher Peronist, aber er ist mehr als das: Er ist ein reicher Peronist mit einem Medienmonopol. Er hat einen Schlag ins Totalitäre, das steckt in ihm: Wenn man bereits die Regierung, Medien, Geld, Macht unter Kontrolle hat und dann noch auf die Justiz zugreift, dann wird es wirklich gefährlich.

Insofern ist Berlusconi sicher ein speziell italienisches Problem. So etwas gibt es nirgendwo sonst in Europa.

Also Entwarnung?

Nein, zu Optimismus gibt es keinen Anlass. Denn andererseits müssen wir sehen, dass etwa in den USA die liberalen Institutionen in Bedrängnis geraten – ausgerechnet in den USA, wo die demokratische Regierung traditionell als eine limitierte Regierung betrachtet wurde.

Demokratie handelt ja nicht nur von freien Wahlen, sondern auch von dem Verständnis, dass die Regierung durchaus begrenzte Macht besitzt. Heute werden die Gegenmächte, etwa der Journalismus, nach und nach geschwächt. Die elektronischen Medien sind buchstäblich „eingebettet“, immerzu, nicht nur im Krieg. Die andere traditionelle Anti-Macht, der Oberste Gerichtshof, hat Bush die Präsidentschaft zugeschanzt.

Lässt sich das generalisieren?

Es gibt eine Krise der liberalen Demokratie. Berlusconi ist nur das beste – oder besser: das schlechteste – Exempel für diesen Trend.

INTERVIEW: ROBERT MISIK