terror und mathematik von RALF SOTSCHECK
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Mein Freund Robin sieht aus wie ein zerstreuter Professor, und er ist auch einer. Er hat wirre weiße Haare, einen riesigen weißen Backenbart und wirkt meistens geistesabwesend. Früher lehrte er Mathematik am Dubliner Trinity College, doch inzwischen ist er pensioniert. Im Ruhestand ist ein Mathematiker allerdings nie. So grübelt er ständig, wie er sein Kenntnisse ohne großen Aufwand in klingende Münze umsetzen kann.

Nun ist er auf ein arithmetisches Phänomen gestoßen, das ihn am kommenden Donnerstag zum reichen Mann machen soll. Er fragt mich: „Du erinnerst dich an die Anschläge vom 11. September?“ Ja, dunkel, antworte ich. „Und an welchem Tag“, fragt er weiter, „ist die Bombe in Bali explodiert? Am 12. Oktober! Es ist doch wohl klar, dass der Anschlag in diesem Jahr auf den 13. November fallen wird.“ Und im nächsten Jahr auf den 14. Dezember? „Ich sehe, du hast die Logik begriffen“, meint Robin triumphierend.

Aber sitzen in der Führungsspitze von al-Qaida ebenfalls wirre Mathematiker? Robins Frau Jean hält nichts von seinen statistischen Berechnungen. „Wir sind neulich mit zwei Autos nach Cork gefahren, weil Robin unterwegs noch einen Abstecher zum Mathematikerstammtisch machen wollte“, erzählt sie. „Auf der Rückfahrt hat er darauf bestanden, dass wir die Autos tauschen, weil das besser für die Hypothenuse sei.“ Leider nickte Robin unterwegs ein und fuhr in einen Graben – Totalschaden. Robin war aber nichts passiert. Kein Grund, Jean zu verständigen, dachte er, sie würde sich nur unnötig Sorgen machen. Allerdings verständigte er auch keine Polizei, und die machte sich erhebliche Sorgen. Ein Beamter hatte den zerstörten Wagen im Graben gefunden. Der Fahrer sei herausgeschleudert worden, vermutete der Polizist und forderte Verstärkung an. Nachdem man das Gelände ergebnislos durchkämmt hatte, erkundigte sich der Polizist bei der Meldestelle nach dem Halter des Wagens. Das war Jean. Warum sie noch am Leben sei, wollte der Beamte wissen, nachdem er ihr am Telefon den Zustand ihres Autos beschrieben hatte.

Jeans Besorgnis schlug in kalte Wut um, als Robin, der per Anhalter weitergereist war, drei Stunden später fröhlich zu Hause auftauchte. Als Mathematiker könne er doch wohl ein Telefon bedienen, tobte sie und brachte auch noch die Hühnchen zur Sprache. Robin hält im Garten eine Hühnerschar, weil das theoretisch billiger sei, als die Eier im Laden zu kaufen. In der Praxis holt freilich der Fuchs regelmäßig das Federvieh. Da der laut Wahrscheinlichkeitsrechnung aber nicht alle Hühnchen holen könne, kauft Robin ständig Tiere nach. Mit dem Geld hätte er das ganze Viertel ein Jahr lang mit Omeletts versorgen können.

Nun will er seine Hühnchenliebhaberei im Wettbüro finanzieren. Der Buchmacher lehnte die tausend Euro jedoch ab, die Robin auf einen Al-Qaida-Anschlag am Donnerstag setzen wollte. Er dürfe nicht auf Ereignisse wetten, die von ihm beeinflusst werden können. Das Risiko, dass er selbst der Organisation angehöre, sei mathematisch gesehen zu hoch. Falls am Donnerstag tatsächlich irgendwo ein verheerender Anschlag passiert, werde ich mit Robin für eine Weile untertauchen müssen.