Rückkehr zur Vernichtung

Peter Weiss und das „Inferno“: Claudia Heinrich und Berthold Brunner sprechen in ihrem Vortrag am Mittwoch über den Schriftsteller und seine Auseinandersetzung mit den deutschen Verhältnissen

von Andreas Blechschmidt

Zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse veröffentlichte der Suhrkamp-Verlag das Stück Inferno aus dem Nachlass von Peter Weiss. Es war Teil einer umfänglichen Divina Commedia-Adaption, von der der Schriftsteller zu Lebzeiten mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit 1964 das Stück Die Ermittlung auf die Bühne brachte. Dieses Drama basierte auf den von Weiss verarbeiteten Eindrücken seiner Besuche des zwischen 1963 und 1965 in Frankfurt laufenden Auschwitz-Prozesses. Der Autor, 1916 als Nachfahr einer jüdisch-ungarischen Familie bei Berlin geboren, musste 1934 mit seiner Familie nach Schweden emigrieren, wo er bis zu seinem Tod 1982 lebte.

Aus Anlass der Veröffentlichung des nachgelassenen Inferno-Textes zeichnen Claudia Heinrich und Berthold Brunner in einem Vortrag unter dem Titel Peter Weiss und das deutsche Inferno seine Auseinandersetzung mit den deutschen Verhältnissen nach. Heinrich und Brunner knüpfen dabei an literaturwissenschaftliche Debatten an, wie sie maßgeblich in den letzten Jahren durch Arbeiten der WissenschaftlerInnen Sigrid Weigel, Klaus Briegleb und Stephan Braese initiiert worden sind.

Weigel und Briegleb haben gemeinsam grundlegende Arbeiten zum Verhältnis der 68er-Bewegung in der Literatur zur Shoah veröffentlicht, letzterer sorgte mit seiner jüngsten Untersuchung Wie antisemitisch war die Gruppe 47? für erhebliche Furore. Stephan Braese hat hingegen mit seiner Untersuchung Die andere Erinnerung eine wegweisende Studie über die Stellung jüdischer AutorInnen deutscher Sprache nach 1945 vorgelegt. Demnach hat der westdeutsche Literaturbetrieb nach 1945 unter Meinungsführerschaft beispielsweise der Gruppe 47 trotz aller gegenteiligen Stilisierungen und Zuschreibungen als vermeintlich kritisch-engagierte Nachkriegsliteratur faktisch ihren Teil zur gesamtgesellschaftlichen Erinnerungsvermeidung beigetragen.

In der Kontinuität dieser aktuellen Forschungsperspektive untersuchen Heinrich und Brunner Peter Weiss‘ Inferno-Text: Ein ehemals zur Vernichtung Bestimmter kehrt an den Ort zurück, an dem er einstmals ermordet werden sollte. In der Konstellation des Stücks ist unschwer die deutsche Nachkriegsgesellschaft mit ihren Verleugnungswünschen und der kollektiven Erinnerungsvermeidung an die Shoah erkennbar. Zugleich reflektiert Weiss aber auch seine eigene Verfolgung, die als Ausschlusserfahrung eines emigrierten Juden im deutschen Literaturbetrieb nach 1945 die Vernichtungsdrohung des NS-Faschismus in gewisser Weise fortschreibt.

Heinrich und Brunner erteilen in diesem Zusammenhang allerdings auch einigen Missverständnissen in der Linken eine Absage, die Peter Weiss allzu gern bruchlos als Interpreten antifaschistischen Widerstands vereinnahmen. Doch die genaue Textlektüre im Werk von Peter Weiss offenbart, dass im Schatten der Shoah auch der antifaschistische Widerstand versagt hat. Material für diese vor allem in seinem letzten großen Werk, der Ästhetik des Widerstands, ausgeführte historische Tatsache findet sich bereits in dem jetzt veröffentlichten Inferno-Text.

Vortrag: Peter Weiss und das deutsche Inferno, Mittwoch, 20 Uhr Buchhandlung im Schanzenviertel, Schulterblatt 55