Gericht stoppt Hauptstadtumzug

Südkoreas Präsident erleidet vor Gericht mit seinen Plänen zur Hauptstadtverlegung eine kapitale Niederlage

TOKIO taz ■ Das südkoreanische Verfassungsgericht hat den Plan der Regierung gestoppt, die Hauptstadt von Seoul in eine zentrale Provinz zu verlegen. Die gestrige Entscheidung des obersten Gerichts ist eine bittere Niederlage für Südkoreas Präsidenten Roh Moo-hyun, der mit der Regierung in die ländliche Region Yeongi-Kongju umziehen wollte. Rohs Begründung für das 35-Milliarden-Euro-Projekt 160 Kilometer südlich von Seoul: Die jetzige Hauptstadt platze aus allen Nähten und dominiere das Land wirtschaftlich. Zwanzig Millionen Menschen, oder 40 Prozent der Gesamtbevölkerung, leben im Großraum Seoul. Hinzu kommen sicherheitspolitische Argumente. Lediglich 50 Kilometer von der innerkoreanischen Grenze entfernt, ist die heutige Hauptstadt leicht verwundbar. Für Nordkoreas Armee wäre es ein Leichtes, Seoul in Schutt und Asche zu legen, warnen Militärexperten.

Das südkoreanische Parlament billigte das Vorhaben im Dezember 2003. Präsident Roh gab im August den Startschuss für den Umzug, der bis 2030 hätte abgeschlossen werden sollen. Laut den Plänen der „Regierungskommission für die Hauptstadtverlegung“ sollten 73 Behörden in die Provinz Chungcheong transferiert werden – darunter 18 Ministerien, der Präsidentenpalast, das Parlament und das Verfassungsgericht.

Die Verfassungsrichter tadeln in ihrem gestrigen Urteil, die Volksrechte seien durch das Vorpreschen des Staatsoberhauptes und des Parlaments „ernsthaft verletzt“ worden. „Der Präsident hätte ein Referendum ansetzen müssen. Er hat es nicht gemacht und damit Grundrechte missachtet“, sagte der Vorsitzende des Gerichts, Yoon Young-chul, während der 40-minütigen Urteilsverkündung, die vom Fernsehen direkt übertragen wurde.

Gegen das Vorhaben des Präsidenten hatten 170 Bürger opponiert. Acht von neun Verfassungsrichtern gaben ihnen nun Recht. Südkoreas konservative Opposition unterstützte den kapitalen Umzug zunächst, schwenkte aber später um. Die Idee, eine neue Hauptstadt aus dem Boden zu stampfen, wurde als zu teuer kritisiert. Zudem habe das Land gewichtigere Probleme. Andere warfen dem glücklosen Präsidenten vor, er suche krampfhaft einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Sollte dereinst der kommunistische Norden kollabieren – so ein weiteres Argument –, müsste ein wiedervereinigtes Korea erneut die Hauptstadt wechseln.

Seouls Bürgermeister Lee Myung-bak jubelte nach dem Urteil: „Wir werden die Grundrechte verteidigen – und Seoul, seit 600 Jahren Hauptstadt.“ Bürgermeister Lee argwöhnte, die Hauptstadtverlegung diene nur dazu, Wählerstimmen aus der Provinz zu gewinnen. Das Argument der Dezentralisierung sei vorgeschoben. Premierminister Lee Hae-chan sagte, er akzeptiere das Urteil. Die Regierung werde umgehend alle „rechtlichen Schritte“ im Zusammenhang mit der Verlegung prüfen.

Umfragen zufolge ist die südkoreanische Bevölkerung in dieser Frage tief gespalten. Kommunalpolitiker in Seoul behaupten, sie hätten zwei Millionen Unterschriften gegen das Projekt gesammelt. MARCO KAUFFMANN