Christenstreit um Judenhass

CDU-Chefin Merkel zu nachsichtig: Als erster führender Christdemokrat nennt Parteivize Rüttgers die Distanzierung Martin Hohmanns von seinen antisemitischen Äußerungen unzureichend

BERLIN taz ■ Angela Merkel gerät mit ihrer Nachsicht gegenüber den antisemitischen Äußerungen des CDU-Abgeordneten Martin Hohmann jetzt auch innerparteilich in die Kritik. Merkels Stellvertreter an der CDU-Spitze, Jürgen Rüttgers, erklärte als erster führender Christdemokrat, Hohmanns Distanzierung von seiner Rede zum 3. Oktober reiche nicht aus. Hohmann müsse seine unerträglichen Äußerungen eindeutig zurücknehmen, sagte der NRW-Landesvorsitzende in Düsseldorf. Er könne nicht erkennen, „dass dies in der notwendigen Klarheit erfolgt ist“.

Rot-Grün fordert ebenso wie der Zentralrat der Juden schon seit Tagen den Ausschluss Hohmanns aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Partei- und Fraktionschefin Merkel hatte es dagegen bei einer Rüge belassen sowie Hohmanns Strafversetzung in den Umweltausschuss verfügt. Bei einem Fernsehauftritt gestern Abend verteidigte sie sich: „Wir haben sehr hart und sehr konsequent gehandelt.“ Kritik an ihrer Nachsicht wies sie zurück: „Es war richtig, dass wir es so gemacht haben.“

Weil Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) tags zuvor einen hohen General wegen Sympathiebekundungen für Hohmann entlassen hatte, wächst der Druck auf die Union, den Urheber des Skandals nicht länger zu schonen. „Ein richtiger Schritt wäre sicherlich der Austritt“ Hohmanns aus der Fraktion, sagte die CDU-Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen der taz.

Verschärft wird die Auseinandersetzung durch Vorwürfe des SPD-Fraktionsgeschäftsführers im Bundestag, Wilhelm Schmidt, andere Unionspolitiker dächten ähnlich wie Hohmann. Er sei „absolut sicher“, dass Hohmann kein Einzelfall sei. Diese Einschätzung deckt sich mit jetzt bekannt gewordenen Aussagen Hohmanns gegenüber einem Reporter der ZDF-Sendung „Frontal 21“. Im letzten Interview vor seiner halbherzigen Distanzierung am vergangenen Samstag sagte Hohmann in die Kamera: „Es gab auch viele positive Reaktionen von Parteifreunden auch aus dem Bundestag, die mir gesagt haben: Du hast nichts Falsches gesagt, bleibe bei deiner Richtung!“ Er glaube, „es denkt ein recht großer Prozentsatz der Fraktion ähnlich wie ich“.

In der Tat dürfte Merkels Zurückhaltung auch in der Sorge begründet sein, ein Antrag auf Fraktionsausschluss könnte die erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlen. Die Abgeordnete Heinen hielt gestern einen Rauswurf Hohmanns für unwahrscheinlich: „Die meisten Abgeordneten wären froh, wenn sie nicht darüber entscheiden müssten.“ Im Landtag von Hohmanns Heimatland Hessen verhinderte die CDU-Mehrheit bereits am Dienstagabend eine förmliche Missbilligung der Äußerungen von den „Juden als Tätervolk“. Hohmann selbst war gegenüber „Frontal 21“ optimistisch: „Wenn, was ich nicht glaube, ein Parteiordnungsverfahren käme, dann würde ich es mit Sicherheit unbeschadet überstehen.“

Der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz erklärte jetzt, Hohmanns Auftritt am 3. Oktober in seinem Wahlkreis stelle eine „geschlossen antisemitische Rede“ dar. Dieses Bild wird durch Hohmanns Aussagen gegenüber „Frontal 21“ verstärkt, in denen kaum ein nationalistisches Stereotyp fehlt. „Auch in der Geschichte des jüdischen Volkes gibt es dunkle Flecken“, sagte Hohmann, „ein solcher Fleck war die Beteiligung des jüdischen Volkes an der bolschewistischen Revolution 1917.“ Zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit sagte er: „Wir brauchen eine Zukunft, und die darf nicht ständig belastet sein von diesen zwölf Jahren“ der Nazi-Herrschaft. Sein politisches Motto sei „Für Gott und Vaterland“.

PATRIK SCHWARZ, LUKAS WALLRAFF

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