Lady Liberty errötet

Verbote als Quelle der Inspiration: Die Ausstellung „legal/illegal“ widmet sich dem Regelbruch. Gut dokumentiert präsentiert sich die kriminelle Energie der Kunst und nur selten glänzt die Beute

Heiliger als das Auto ist in den USA nur noch die Flagge mit Stars and Stripes

VON MARCUS WOELLNER

Wo fängt eigentlich Kriminalität an? Und wo hören Kavaliersdelikte auf? Jedenfalls besteht zwischen Legalität und Illegalität keine starre Grenze. Gesetze sind eben Auslegungssache, das Recht lässt sich beugen. Für Künstler war diese Schnittmenge zwischen erlaubt und verboten schon immer ein Fundus an Inspirationen. Besonders der Dadaismus der Jahre um 1920 zelebrierte das Halblegale. Etwa der Mitbegründer der Bewegung, Walter Serner, der in seinem „Handbrevier für Hochstapler und solche, die es werden wollen“ 591 Ratschläge für die Vereinigung von Kunst und Leben im juristischen Grenzbereich zusammentrug. Gerade in Rechtswissenschaften promoviert, musste Serner vor der Justiz fliehen, weil er dem befreundeten expressionistischen Dichter und Anarchisten Franz Jung ein medizinisches Attest ausgestellt hatte, um diesem bei der Verweigerung des Kriegsdienstes zu helfen.

Im Umfeld des Dada beginnt auch das aktuelle Projekt der Kreuzberger Neuen Gesellschaft für bildende Kunst NGBK und zeigt mit „legal/illegal. Wenn Kunst Gesetze bricht“ eine Ausstellung zur Ästhetik der Gesetzwidrigkeit. Im Mittelpunkt stehen dabei Aktionen, bei denen die künstlerische Inszenierung den Konflikt mit dem Gesetz oder der vorherrschenden Ordnung sucht. Das kann ein symbolischer Tabubruch sein, ein ironischer Blick auf die Absurditäten staatlicher Regeln, aber gleichfalls ein krimineller Akt, der strafrechtliche Verfolgung nach sich zieht. Präsentiert werden sowohl künstlerische Arbeiten als auch historisches Material und Zeitzeugnisse, wie ein selbstverständlich gefälschter Ausweis Franz Jungs, der an sein abenteuerliches Leben als gesetzesuntreuer Bürger erinnert.

Hingucker der Schau ist jedoch die Installation „Violations“ von Dennis Oppenheim. Hundert polierte Radkappen liegen wie gelandete UFOs auf dem Boden des Ausstellungsraums und beschwören die Chrom- und Stahlopulenz amerikanischer Automobile der Sechzigerjahre. Auf einem Bildschirm läuft ein Film, der anleitet, wie man die dekorativen Metallscheiben von der Felge bekommt, nämlich mit einem schweren Schraubenzieher. Oppenheim hatte sich 1971/72 auf dem Dienstparkplatz der Haftanstalt San Quentin an den Wagen der Justizvollzugsangestellten zu schaffen gemacht und die gestohlenen Radkappen später auf einer Anhöhe in Sichtweite des Gefängnisses installiert.

Noch heiliger als das Auto ist in den Vereinigten Staaten von Amerika vielleicht nur noch die Flagge Stars and Stripes, die nicht nur in ihrer Form und Gestalt, sondern auch in ihrer Funktion und ihrem Gebrauch rechtlich geschützt ist. Worauf Schulkinder zwischen Boston und San Diego einen morgendlichen Eid schwören, geht in den Aktionen Burned Flag und Flag Show der radikalen Guerilla Art Action Group GAAG in Flammen auf. Die Justiz wahrte im Anschluss an die Verbrennung des Emblems amerikanischen Nationalstolzes zwar die Freiheit der Kunst und der Künstler, zog aber die Organisatoren des Happenings zur Verantwortung.

Ann Messner arbeitet da poetischer und stiehlt schon mal ein Dutzend T-Shirts, die sie alle übereinander anzieht, bevor sie das Geschäft verlässt. Da wird der Ladendiebstahl zur Performance. In der voll besetzten New Yorker U-Bahn, in der jeder peinlich darauf achtet, ja niemanden anzuschauen oder zu berühren, bläst Messner seelenruhig einen großen Luftballon auf und wartet auf die Reaktion der Leute. Ganz in der Tradition von Situationismus und Fluxus besteht das Kunstwerk in seiner Anwendung und in der Vorstellung des Publikums. Deshalb sind viele Ausstellungsstücke auch nur Beschreibungen und Fotografien.

So erinnert bloß ein kleines unscharfes Foto und ein Büchlein an die Aktion „How much red does the Statue of Liberty bear?“ des Künstlerduos p.t.t.red. Stefan Micheel und Hans Winkler hatten vierzehn Tage den Security Service der Freiheitsstatue auf Sicherheitslücken überwacht. In der Viertelstunde Unaufmerksamkeit, die der Wachschutz sich leistete, montierten sie rote Folien auf die Scheinwerfer, die das Monument nachts hell erleuchten. In der Nacht zum 25. Juni 1996 erstrahlte das Wahrzeichen New Yorks einmalig rot statt weiß.

Winkler entwickelte auch die Idee zur Ausstellung „legal/illegal“ und hat sie jetzt gemeinsam mit Helen Adkins und Kai Bauer in der NGBK realisiert. Ursprünglich wollten die Kuratoren noch ein Werk des früh verstorbenen Aktionskünstlers Gordon Matta-Clark zeigen, der in den Siebzigerjahren mehrfach wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch angeklagt war. Zwei seiner Arbeiten, die in der Flick-Collection im Hamburger Bahnhof ausgestellt waren, wurden aber kürzlich Opfer der Zerstörung durch eine Besucherin. Infolgedessen wurde das zugesagte Werk für „legal/illegal“ wieder zurückgezogen. So schließt sich der Kreis von Kunst und Kriminalität und beschäftigt auch die reale Ausstellungspraxis.

„legal/illegal. Wenn Kunst Gesetze bricht“. NGBK, Oranienstr. 25, noch bis zum 28. 11. 2004. Zur Ausstellung ist ein Buch erschienen, 256 Seiten, 17 €