Je jünger, desto ärmer

Friedrichshain-Kreuzberg hat eine der höchsten Sozialhilfequoten Berlins. Betroffen sind vor allem Kinder – und Kreuzberger: Sie brauchen mehr Hilfe als ihre Nachbarn im Osten

Es sind Zahlen, die einen nicht wirklich überraschen. Trotzdem sind sie immer wieder erschreckend: Jedes dritte Kind unter drei Jahren im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg lebt von Sozialhilfe. Das hat eine Studie des Instituts für Angewandte Demographie (Ifad) ergeben, die das Bezirksamt unter dem Titel „Sozialstruktur und räumliche Segregation von Sozialhilfeempfängern in Friedrichshain-Kreuzberg“ in Auftrag gegeben hat.

Danach sind rund 38 Prozent der Kinder von null bis drei Jahren Empfänger von Sozialhilfe, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren immerhin noch zu rund 29 Prozent. „Je jünger die Menschen sind, desto eher fallen sie in die Sozialhilfe“, so Harald Michel vom Ifad. Ältere Menschen hätten in der Regel kontinuierlichere Erwerbsbiografien – und erhielten deshalb in der Regel entweder Rente oder hätten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.

„Für uns ist das eine alarmierende Entwicklung“, sagte die Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales, Kerstin Bauer (PDS). Sie decke sich aber leider mit den Ergebnissen des Kindergesundheitsberichtes, den das Bezirksamt im September veröffentlicht habe. „Das Ausmaß von Kinderarmut haben wir geahnt, jetzt haben wir die Zahlen dazu“, so Bauer. Man werde deshalb einen Maßnahmenkatalog erarbeiten, um hier gegenzusteuern.

Insgesamt, das zeigen die Ergebnisse der Studie, ist die Quote der Sozialhilfeempfänger in Friedrichshain-Kreuzberg mit 13,4 Prozent deutlich höher als im Rest von Berlin. Hier liegt der Durchschnitt bei 7,7 Prozent, bundesweit sogar nur bei 3,3 Prozent. Nur Neukölln lag bei der letzten Erhebung 2001 noch höher. „Die Zahlen zeigen, dass in unserem Bezirk viele Menschen in einer sehr schwierigen sozialen Situation leben“, sagt Bauer. So wenig ihr die Zahlen gefallen, so froh ist sie über die Studie: „Das Datenmaterial ist wichtig, um gegenüber der Senatsfinanzverwaltung für mehr Geld argumentieren zu können.“

Interessant ist ein deutliches Gefälle zwischen den ehemaligen Bezirken Kreuzberg und Friedrichshain: Danach wohnen 77 Prozent der insgesamt 33.515 Sozialhilfeempfänger in Kreuzberg. „Das hängt damit zusammen, dass sich im ehemaligen Ostteil der Stadt ein Großteil der sozial Schwachen noch in der Arbeitslosenhilfe befindet“, erklärt Michel das Phänomen. Aber er ist sich auch im Klaren, dass sich diese Quoten ändern werden. „Durch die Umsetzung der Hartz-Gesetze wird sich das soziale Gefüge in diesem Teil der Stadt dramatisch verändern.“

Signifikante Unterschiede zwischen beiden Stadtteilen zeigen sich auch bei der Ausländerquote: Nur sieben Prozent der ausländischen Sozialhilfeempfänger wohnen in Friedrichshain, in Kreuzberg sind es 93 Prozent. Insgesamt ist der Anteil von nicht deutschen Sozialhilfeempfängern im gesamten Bezirk mit 22,7 Prozent deutlich höher als der Anteil der Deutschen (10,8 Prozent). Vor allem der Anteil der türkischen Empfänger ist mit 28,8 Prozent signifikant hoch. „Leider lässt unser Material keinen genauen Rückschluss auf die Ursachen zu“, so Michel. Aber dass Bildung und Sprachkompetenz dabei eine sehr wichtige Rolle spiele, sei wahrscheinlich. SUSANNE AMANN