Attacke gegen Tadić

Serbiens Radikale und Sozialisten leiten Verfahren zur Ablösung des Staatschefs ein. Der soll diskreditiert werden

BELGRAD taz ■ Die Serbische Radikale Partei (SRS) und die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) haben im Parlament in Belgrad ein Verfahren zur Ablösung des Präsidenten Serbiens, Boris Tadić, eingeleitet. Um diesem Vorgang Nachdruck zu verleihen, wurden in Belgrad Demonstrationen gegen Tadić organisiert, zu denen Serben aus dem Kosovo mit Bussen anreisten. Ähnlich waren auch schon zu Milošević’ Zeiten Meetings organisiert worden.

Die Präsidenten der Parteien SRS und SPS, Vojislav Šešelj und Slobodan Milošević, befinden sich im Gefängnis des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, wo sie wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden sind. Bezeichnend für den Zustand in Serbien ist, dass ihre Parteien im Parlament mehr als ein Drittel aller Abgeordneten stellen, sodass sie das Verfahren beantragen konnten. Das Parlament muss nun entscheiden, ob der Antrag sofort auf die Tagesordnung gesetzt oder am Ende der schon anstehenden Fragen behandelt wird.

Die Ablösung des Präsidenten ist kompliziert. Diese muss von einer Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen werden. In diesem Fall wäre die Zustimmung der Demokratischen Partei Serbiens, (DSS), notwendig. Deren Präsident Vojislav Koštunica ist Premier der Minderheitsregierung Serbiens. Danach müssten die Wähler entscheiden. Für eine Abwahl wären die Stimmen von mehr als der Hälfte der Wahlberechtigten nötig.

Das Ziel der Antragsteller ist jedoch nur, eine von allen Medien verfolgte Debatte anzuregen und den immer populäreren Präsidenten zu desavouieren sowie ihn als Handlanger des Westens und Verräter hinzustellen.

Obwohl er keine exekutiven Vollmachten hat, erregt Tadić die Gemüter. Er hat sich energisch für die Verhaftung und Auslieferung aller noch freien in Den Haag angeklagten Personen ausgesprochen und die Serben im Kosovo aufgefordert, an den Wahlen am 23. Oktober teilzunehmen. Demgegenüber sieht Koštunicas Regierung in der Verhaftung der Angeklagten eine Gefährdung der Stabilität im Lande und ruft die Serben im Kosovo zum Wahlboykott auf.

Tadić bleibt derzeit gelassen. Falls der Misstrauensantrag gegen ihn gestellt wird und scheitert, muss das Parlament aufgelöst werden. Er erklärte im Namen seiner Demokratischen Partei (DS), man sei auf vorgezogene Wahlen vorbereitet und werde sie gewinnen. Wahlen wünscht sich auch der Statthalter Šešeljs, SRS-Vizepräsident Tomislav Nikolić. Vojislav Koštunica fürchtet sie jedoch und wird versuchen, sie zu vermeiden.

Mit dem Verfahren zur Ablösung des energischen, prowestlichen Präsidenten ist ein neuer Machtkampf entbrannt. Er verdrängt die Debatte über den Zusatzhaushalt im Parlament, der schmerzliche Sparmaßnahmen vorsieht, die die Bevölkerung – insbesondere Rentner und Angehörige der Streitkräfte – betreffen werden. Die jüngste Entwicklung als Ergebnis der zunehmenden Polarisierung stellt die ohnehin brüchige Stabilität des größten Balkanlandes in Frage.

ANDREJ IVANJI