Gedrängel am Start

Osnabrück, Lübeck, Bremen und Braunschweig – Norddeutschland ist im Kulturhauptstadt-Bewerbungsfieber. Das Auswahlverfahren sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene ist allerdings bislang noch völlig undurchsichtig

von Benno Schirrmeister

Auch Steckenpferdereiten ist eine Kulturleistung. Über ihren Rang darf allerdings gestritten werden – er ist deutungsabhängig. Osnabrück jedenfalls profiliert sich seit 50 Jahren mit einem auf dem Spielgerät quer durch die Stadt reitenden Kinderheer als Friedensstadt, jedes Jahr dieselbe Route bis zum Markt, jedes Jahr am 28. Oktober.

Als einen „großen Tag für Osnabrück“ bezeichnet das die Stadtwerbung anno 2003. Der Hauptgrund für die Aufwertung ist dabei wohl weniger, dass die neobrauchtümlerisch gefeierte Proklamation des Westfälischen Friedens ein beinahe rundes Jubiläum feiert – sie liegt 355 Jahre zurück. Sondern vielmehr, dass das Profil als Friedensstadt wichtiger geworden ist, denn je: Künftig muss es mehr sein als ein griffiges Label. Es muss ein Programm werden. Da mit will Osnabrück im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas werden.

Dass die Bischofstadt auf ihrem Steckenpferd das Ziel erreicht, gilt als unwahrscheinlich. Bessere Aussichten haben die drei anderen norddeutschen Mitbewerberinnen: Bremen als Stadtstaat, Lübeck als einzige Bewerberin aus Schleswig-Holstein. Und natürlich Braunschweig. Denn der Welfenstadt hat die niedersächsische Landesregierung ihre Unterstützung zugesichert. „Formalrechtlich steht es natürlich jedem frei, sich zu bewerben“, so Thomas Reiter als Sprecher des Kulturministeriums. Die Aussage „pro Braunschweig“ stehe jedoch „seit den Koalitionsvereinbarungen fest“. Sie sei „eindeutig und mehrfach bekräftigt.“ Zur Osnabrücker Kandidatur gebe es daher „unsererseits nichts zu sagen“.

Schwieriger einzuschätzen sind die Chancen der übrigen norddeutschen Kandidatinnen. Bislang nämlich wurde auf Bundesebene versäumt, die Modalitäten festzulegen. Für nicht so wichtig gilt diese Frage allein in der Lübecker Verwaltung. So war die Hansestadt auch die einzige von 16 Bewerberinnen, die zu Wochenbeginn nicht an der Fachkonferenz des Kulturrats teilnahm. „Da waren wir nicht dabei“, bestätigt Holger Walter, stellvertretender Fachbereichsleiter Kultur. Man kenne solche Roundtables noch von der Olympia-Bewerbung. „Uns reichte eine Luftblase, die dann platzt.“

Eine Minderheitenposition: Alle 15 teilnehmenden „Bewerberstädte waren sich darin einig“, heißt es in einer Erklärung des Kulturrats zu dem Treffen, „dass ein transparentes nationales Auswahlverfahren unabdingbar ist“. Weil sie derzeit „im konkreten Bewerbungsverfahren“ stünden, heißt es weiter, „sei es „notwendig, Klarheit über die nächsten Schritte“ zu erhalten.

Die nächsten Schritte – das ist sehr wörtlich zu verstehen. Denn bereits im Frühjahr 2004 müssen die Flächenländer ihre Kandidatin übers Auswärtige Amt an den Bundesrat weitergeleitet haben. Der muss dann, wie auch immer, ein oder zwei, oder vielleicht auch drei oder gar noch mehr Bewerbungskonzepte auswählen und – natürlich übers Außenministerium – nach Brüssel schicken.

Vor diesem Hintergrund ist der Berliner Appell der Bewerberstädte lediglich ein Minimalkonsens. Zur Diskussion stand bei dem Treffen nämlich auch, eine Jury einzufordern. Doch dafür gab es kein einheitliches Votum. Es sei „stellenweise eine fatale Abduckhaltung vor dem Bundesrat“ zu beobachten gewesen, äußerte Reinhart Richter als Berater Kassels sein Unverständnis darüber. Auch Jens Joost-Krüger, für Bremen in Berlin, hätte ein Plädoyer für eine Jury befürwortet. Nicht so jedoch der Braunschweiger Kulturdezernent: „Wir haben dem Bundesrat keine Empfehlungen zu geben“, so Wolfgang Laczny auf Nachfrage.

Offen ist mithin noch immer, ob ein vom Bund beauftragtes Expertengremium die eingereichten Konzepte unter fachlichen Gesichtspunkten auswertet oder ob eine rein politische Entscheidung fällt: Bei der würden die Kriterien Lobbyarbeit, Größe des Landes und politische Couleur eine Hauptrolle spielen. Rein hypothetisch wäre es aber auch möglich, die Entscheidung per Wettrennen herbeizuführen. Etwa auf Steckenpferden. Vorteil: Dann wäre plötzlich Osnabrück ein heißer Kandidat.