Gepickte Studis sind bessere Studis

Bald dürfen sich die Hochschulen 60 Prozent ihrer Studierenden selbst aussuchen. Die Universitäten, die sich die Mühe der Auswahlgespräche bereits heute machen, berichten von Erfolgen: Die Motivation der Studierenden ist größer, sie bringen bessere Leistungen und es gibt weniger Abbrecher

Die Wahl und Vergabe von Studienplätzen ist – andersals viele annehmen – nichtfrei in Deutschland

VON FLORIAN HOLLENBACH

Kai Aldenhoff hatte einen Traum. Er wollte in Mannheim Betriebswirtschaft studieren. Die BWLer dort haben dreimal hintereinander das Wirtschaftswoche-Ranking der Betriebswirte gewonnen. In Mannheim gibt es Master-of-Business-Administration-Programme, die Deutschland bisher kaum kennt. Inzwischen hat Kai, 24 Jahre, seinen Wunschstudienplatz – allerdings an der Universität Witten/Herdecke.

Die Studienplatzwahl ist, anders als viele annehmen, nicht frei in Deutschland. Man muss sich bewerben. Nicht individuelle Fähigkeiten geben den Ausschlag, sondern die Durchschnittsnote des Abiturs. Die Studienplatzvergabe erfolgt durch eine Behörde, die „Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen“. Die aber kann nicht jeden Wunsch erfüllen. So durfte Kai Aldenhoff nicht in Mannheim studieren – die ZVS wollte ihn nach Halle verschuben. Auf staatlich verordnetes Zufallsprinzip hatte Kai jedoch keine Lust. Also bewarb er sich mit einem Abischnitt von 2,3 an einer Uni, die sich ihre Studierenden selbst aussucht. So wurde aus Kais Traumuni die private Universität in Witten/Herdecke.

Ab kommendem Jahr soll es viel mehr Kais in Deutschland geben. Ein neues Gesetz erlaubt es auch den staatlichen Hochschulen, sich ab dem Wintersemester 2005/06 satte 60 Prozent der Studenten für bisherige ZVS-Studiengänge selbst auszusuchen. Endlich dürfen dann auch die Studenten wählen, an welcher Uni sie studieren wollen. Sie werden nicht mehr wahllos in Deutschland verteilt.

Die European School of Business (ESB) in Reutlingen pickt sich ihre Studis schon lange aus – zum Vorteil beider Seiten. Die Abiturnote spielt bei den Reutlinger Ökonomen eine geringe Rolle. „Wir wollen auch andere wichtige Eigenschaften bei der Zulassung einbeziehen“, sagt der Rektor der Business School, Daniel Simonovich.

Die Auswahl in Reutlingen findet in zwei Schritten statt. Zuerst lädt der Ökonomie-Fachbereich der FH Reutlingen anhand schriftlicher Bewerbungen fünfmal so viele Bewerber zum Eignungstest ein, wie es Studienplätze gibt. 60 Prozent kommen auf Basis der Abiturnote zum Auswahlgespräch, der Rest „aufgrund besonderer Qualifikationsmerkmale“. Diese können zum Beispiel soziales Engagement, Praktika oder etwa eine kaufmännische Lehre sein. Um die Eignung festzustellen, folgen dann ein schriftlicher und ein mündlicher Test sowie ein Interview. Die Auswahlgespräche führen zumeist ein Professor und Vertreter aus einem Partnerunternehmen der ESB.

Die persönliche Auswahl der Studenten durch die Unis hat einen großen Vorteil: Das System wird gerechter. Die jetzige Auswahl über den Numerus clausus oder Wartesemester berücksichtigt gar nicht, ob der jeweilige Bewerber für seinen Studiengang besonderes Interesse und Neigungen besitzt. Mit einem sehr guten Abitur etwa können angehende Medizinstudenten mittelprächtige Leistungen in Naturwissenschaften vertuschen. Um Stärken und Schwächen der neuen Erstsemester zu kennen, müssten sich auch die staatlichen Universitäten persönlich mit ihren Bewerbern befassen.

Nicht nur an der ESB Reutlingen ist das bereits der Fall. An der TU München zum Beispiel haben im Fachbereich Molekulare Biotechnologie auch weniger gute Schüler Chancen auf einen Studienplatz. Durch hohe Motivation und gute Noten in naturwissenschaftlichen Fächern können Bewerber die Immatrikulation erreichen. Erlaubt wird dies durch eine Experimentierklausel im Bayerischen Hochschulgesetz, das auf Antrag Hochschulen die Erlaubnis erteilt, „für einzelne Studiengänge zu bestimmen, dass neben der für den Hochschulort erforderlichen Qualifikation die Eignung auf Grund einer Eignungsfeststellung nachzuweisen ist“.

Nun versuchen sie an der TU München seit fünf Jahrgängen, mit Auswahlgesprächen die richtigen Bewerber herauszufinden – und es klappt. Arne Skerra jedenfalls, Professor für Molekulare Biotechnologie, behauptet: Seit er seine Studenten selbst auswählen darf, sind die Leistungen der Erstsemester höher als in vergleichbaren Studiengängen. Es zeige sich außerdem, so Skerra, dass die Leistungen nicht vom Abiturdurchschnitt abhängen.

Dass Vorlesungen vor schlafenden Studenten stattfinden, könnte also der Vergangenheit angehören. In der Auswahl über Durchschnittsnoten und Wartesemester bleibt die Motivation der Studenten völlig im Dunkeln. Bei Auswahlgesprächen ist sie einer der wichtigsten Entscheidungspunkte. Die Profs können ihr auf den Zahn fühlen. Die Vorbereitungszeit auf Auswahlgespräche kann sehr fruchtbar sein. Durch die Beschäftigung mit dem gewünschten Studienfach kommt es weniger zu vorschnellen, falschen sowie gewürfelten Entscheidungen. Wenn die Studenten höher motiviert sind, sinkt die Zahl der Studienabbrecher und Studienfachwechsler automatisch. Die TU München hat ermittelt: Sind die Studenten höher motiviert, nimmt die Zahl der Studienabbrecher und -fachwechsler ab.

Allerdings gibt es auch an mancher Uni Widerstände dagegen, die Studenten in Zukunft selbst auszusuchen. Denn die individuelle Auswahl der Studenten bedeutet auch für Professoren und Hochschulen einen viel größeren Aufwand. Für Jörg Steinbach etwa, erster Vizepräsident der TU, machen Auswahlgespräche erst dann Sinn, wenn die Universität all ihre Studenten in allen Fächern selbst aussuchen darf. Sonst kommen, so das Argument, das viele Professoren einwenden, jene Bewerber, die von der Uni abgelehnt wurden, über die Restplatzvergabe der Dortmunder Zentralstelle doch noch in das Fach. Diese Zurückhaltung war auch der Grund, warum die bisherige Auswahlquote von einem Fünftel der Studienbewerber von den Universitäten kaum genutzt wurde.

Arne Skerra findet das Argument falsch. „Der Aufwand lohnt sich, denn die persönlich ausgewählten Studenten bestreiten ein im Durchschnitt erfolgreicheres Grundstudium“, sagt der Leiter der Molekularen Biotechnologie an der TU München.

Auch die European Business School Schloss Reichartshausen führt schon lange Auswahlgespräche. Dort haben sie sich bewährt. „Auf der Basis von Schulnoten kann man gar nicht das ganze Potenzial eines Studenten ablesen“, sagt Ulrich Hommel, Rektor der European Business School. „Auch schlechtere Schüler können noch einen sehr erfolgreichen beruflichen Werdegang bestreiten – insbesondere wenn sie durch außerschulische Aktivitäten oder ihre Aufgabe als Schulsprecher zustande kamen. Die Abiturnote hat dann nicht genügend Aussagekraft.“

Der Autor, 20, hat gerade begonnen, an der Universität Potsdam Politikwissenschaft zu studieren