Erste Hilfe fürs Drehbuch

Wie hält man ein Skalpell? Wie viel Blut muss bei einer Herztransplantation fließen? Die Mediziner von „The Dox“ haben die Antwort – und verkaufen ihr Wissen an Film- und Fernsehproduzenten

VON ANNA KISTNER

„Irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen“, erzählt Pablo Hagemeyer, Gründungsmitglied der „Dox“ und momentan in der Ausbildung zum Nervenarzt. 1998, das war die Zeit, in der die Weißkittelepen im TV ihren Höhepunkt gerade erreicht hatten. Beinahe stündlich eilten Männer wie Dr. Bruckner und Dr. Merthin sorgenvoll lächelnd über den Bildschirm und Frauen mussten noch Dr. Stefan Frank vertrauen.

„Ich hatte es satt, angehimmelten Kurpfuschern dabei zuzusehen, wie sie Ohnmächtigen erst mal kräftig ins Gesicht schlugen, um bei der Reanimation dann zärtlich ein paar Mal den Brustkorb zu tätscheln“, führt Hagemeyer weiter aus. Also gründete er zusammen mit seinen Kommilitonen Florian Gekeler und Patrick Weydt kurz vor dem dritten Staatsexamen die Münchner Medienagentur „The Dox“. Seitdem beraten sie von „Schwester Stefanie“ bis hin zum „Tatort“-Kommissar alle, die medizinische Nachhilfe brauchen.

Und das sind mehr, als man denkt. Tatsächlich hatten die bayerischen Jung-Mediziner eine Marktlücke entdeckt. Schließlich ging es in den Arztserien schon lange nicht mehr um Herz, sondern um Schmerz. In der „Schwarzwaldklinik“ bildete der Operationssaal noch die atmosphärische Kulisse, der symbolische Hintergrund für den gekonnten Griff in die wöchentliche Beziehungskiste. Zehn Jahre später musste ein Dr. Bruckner schon Operationen auf dem Monitor zeigen und nicht nur seine angespannte, schweißbedeckte Stirn. Auch die Ausstattung, die medizinischen Details und die typischen Requisiten wurden zunehmend wichtiger und so ließen die ersten Berateraufträge nicht lange auf sich warten.

Der „Dox“-Verkaufsschlager ist vor allem die angebotene Hilfe bei der Ideenfindung und Drehbuchlektorierung. Arztserien wie „Für alle Fälle Stefanie“ sind vor allem scharf auf schwer diagnostizierbare Krankheiten, damit unter den Ärzten Konfliktsituationen bei der Behandlung auftreten können: Operation und Therapie oder Abwarten und Teetrinken? Als Alternative zum Klassiker Blinddarmentzündung schlugen „The Dox“ das Plasmozytom vor, eine besondere Art von Leukämie.

Ebenfalls hoch im Kurs sind Dilemmasituationen. Noch vor Behandlung durch „The Dox“ sah das zum Beispiel so aus: Die Patientin musste sich zwischen ihrem Bein und ihrem Kind entscheiden, da nur durch eine Beinamputation die Gefahr einer Blutvergiftung behoben werden konnte. „Natürlich sind solche Fälle extrem unwahrscheinlich“, meint Hagemaier, „aber eine einprozentige Wahrscheinlichkeit reicht den Drehbuchschreibern schon. In Wirklichkeit wäre der Fall eher so ausgegangen, dass die Frau Bein und Kind verloren hätte.“

Zum Glück gelten fürs Fernsehen andere Realitäten. Arztserien sollen Hoffnung spenden – Hoffnung auf medizinischen Fortschritt, auf Wunder, auf Menschlichkeit. In den TV-Kliniken dürfen die Patienten deshalb auch erst seit vier Jahren sterben und länger krank bleiben als 45 Minuten – ein Verdienst von „The Dox“. Älter als 40 Jahre sind die Protagonisten in den Krankenhäusern trotzdem selten, weil das die Vorgabe der Produktionsfirma so will.

Neben den Beratungen vor Drehbeginn sind „The Dox“ auch oft am Set im Erste-Hilfe-Einsatz. Der armen Schwester Stefanie Engel trieben „The Dox“ den Schweiß auf die Stirn, da die Aussprache medizinischer Fachbegriffe höchstes schauspielerischen Engagement erfordert. Auch der Hinweis, das Stetoskop besser unter als über der ohrbedeckenden Schutzkappe zu tragen, war sehr hilfreich. Allen medizinischen Rettungsversuchen zum Trotz musste Stefanie den Bildschirm mittlerweile räumen. Auch Dr. Bruckner, Dr. Merthin und Dr. Frank wurden in den vorzeitigen Ruhestand entlassen.

Für „The Dox“ kein Grund zur Trauer: Ihre Geschäfte laufen von Jahr zu Jahr besser. Vom seriösen „Tatort“ bis hin zur quotenstarken Schmonzette „Lockruf der Vergangenheit“ nehmen vor allem Spielfilmproduzenten die beraterischen Dienste der „Dox“ gerne in Anspruch. Neuerdings beschäftigt die Münchner Vier-Mann-Zentrale sogar einen Medizinfachmann in Berlin. Konkurrenz gibt es nur in Person von Ärzten, die mit den Drehbuchschreibern befreundet sind.

Dennoch: Das große Geld lässt sich als medizinischer Medienberater nicht verdienen. Alle fünf „Dox“ arbeiten hauptberuflich weiterhin als echte Mediziner in einem echten Krankenhaus. Ihr Berufsethos würden sie auch nie unternehmerischen Interessen unterordnen.

Den aktuellen TV-Trend „Schönheitsoperation“ verurteilen sie vehement. „Solche Produzenten gehen schlicht über Leichen,“ kommentiert Hagemeyer: „Was die brauchen, ist eine ethische Beratung.“