BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Der Krieg der Knöpfe

Wenn der Gameboy unser Leben dominiert, hilft nur eines: knallharte Gegenwehr. Oder … naja

Eva hatte Adam wenigstens etwas anzubieten, wofür man schon mal Flammenschwert und Vertreibung aus dem Paradies riskiert: die Frucht vom Baum der Erkenntnis, das Versprechen, zu sein wie Gott. Also eine Urversion von „Deutschland sucht den Superstar“. Meine Versuchung trug dagegen die Uniform einer Stewardess von Air France. Sie stöberte mich auf Platz 49 L einer Boeing 747 auf und sagte: „Das ist für Ihren Sohn.“

In dem kleinen Paket waren die Siebensachen, die ein Fünfjähriger für einen achtstündigen Flug braucht: Buntstifte, Kekse, ein Malheft, Erfrischungstücher, eine Schlafbrille und düdelü miep miep wumm …

„Ey, cool, Papa, ein Gameboy!“

Bei der Grande Nation bestimmt das falsche Wort. Wer einen Walkman „balladeur“ nennt, beschreibt den Gameboy wahrscheinlich auch als „garçon de jeu“. Nun ja. Das Ding war sehr nützlich. Egal ob draußen die Atlantikküste vorbeizog, ob sich ’arrison Ford auf Französisch mit den Gaunern in ’ollywood rumstritt, ob die Luftlöcher unsere Zähne aufeinander klappern ließen oder ob das Blut nach stundenlangem Sitzen nur noch zwischen Kopf und Bauch zirkulierte – Jonas war zufrieden. Düdelü miep miep wumm. Und ich hatte ja die Ohrstöpsel, die mir die Stewardess gereicht hatte.

Doch dann enttäuschte mich die Fluggesellschaft schwer. Beim Ausstieg aus der Kabine sagten alle brav „Merci“ und „Au revoir“. Aber hinterher hatte Jonas seinen Gameboy immer noch in der Hand. Sie wollten ihn nicht zurückhaben! Es war ein Geschenk! Und sie hatten auch vergessen, ihn mit einem Selbstzerstörungsmechanismus zu versehen, sobald wir festen Boden berührten.

Und so verliefen die nächsten Tage mit Pingpong, Tetris, Ufosabknallen und Autorennen. Der neugeborene Cousin? Düdeldü miep miep wumm. Eine neue Welt mit fremder Sprache? Düdeldü miep miep wumm. Fremdartige Menschen, aufregende Geschichten, unvertraute Gerüche? Düdeldü miep miep wumm. Irgendwie passte unser Soundtrack total zu den neuen Eindrücken. Und wie der Heilige Vater hing mein Gameboy schief auf seinem Kindersitz im Papamobil, den Blick entrückt in die Ferne gerichtet, die Augen halb geschlossen, den Mund halb offen. So sieht wahre Transzendenz aus. Düdeldü miep miep wumm.

Ich hasse diesen elektronischen Haustierschrott. Aber ich hasse auch Computerspiele, Palmtops und Tamagotchis. Haben die Kinder keine echten Haustiere, die sie verhungern lassen können? Sind wir nicht nur noch die Idioten, die den neuen VW Golf starten dürfen, damit ihn 40 Computer für uns fahren? Okay, der Weg in die virtuelle Wirklichkeit ist bei den Kindern ohnehin nicht zu verhindern. Aber gerade deswegen sollten sie sich erst möglichst spät in diesen elektronischen Warteschleifen vor der Wirklichkeit rumdrücken. „Das sagst du nur, weil du nicht mal einen Videorecorder bedienen kannst“, sagt meine Frau Anna. Warum soll ich mich mit einer Maschine rumschlagen, die mich nach der Bedienungsanleitung zu urteilen für eine Mischung aus Averell Dalton und Albert Einstein hält? Maschinen, die ich respektieren würde, sähen aus wie der Bordcomputer „Hal“ in Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Man müsste zu ihnen sagen können: „Los, vertreib mir die Langeweile. Egal wie.“

Als wir Düdeldü das nächste miep Mal im miep Auto sitzen wumm, fällt mir plötzlich ein: Pisa! Lesen! Schreiben! Rechnen! Sprechen! Investieren wir in die Köpfe, nicht in die Knöpfe!

„Jonas, wenn wir zu Hause sind, kommt der Gameboy weg!“, sage ich. „Papa!“, mault mein Sohn, „dann will ich aber dafür einen richtigen Computer.“

Nach vier Tagen und drei Nächten des elektronischen Ausnahmezustands schiebt sich die Realität wieder in das Leben meines Sohnes. Gegenüber den ersten Krabbeleien von Cousin Luis verblasst der virtuelle Freund. Jonas tobt mit dem Baby auf dem Boden herum. Er geht mit seinem Onkel Fußball kicken. Er holt sich ein Stück Holz, um daran zu schnitzen. Genug Zeit für mich, einen neuen Highscore beim Autorennen zu setzen.

Fragen zu Kindern? kolumne@taz.deMorgen: Peter Ahrens über PROVINZ