Kinder sind konservativ

Keine Verlagsstände, kein Verkauf, dafür wird die Cafeteria im Kulturzentrum PFL zur Saftbar: Die nicht-kommerzielle Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse „Kibum“ ist kein Treffen umtriebiger Fachhändler, sondern ein Fest für Jungleser

aus Oldenburg Marijke Gerwin

Paula-Maria ist ganz versunken. Mit angezogenen Beinen hat sie sich an eine Wand gekauert. Hier liest sie in Ruhe „Das Trotztäufelchen“. Zusammen mit ihren zwei Schwestern kommt jedes Jahr zur Oldenburger Kinderbuchmesse „weil es hier so viele Bücher gibt“ – bei der Kibum 2003 sind es über 2.000, allesamt Neuerscheinungen, präsentiert ohne Vorauswahl: Die Kibum zeigt alles, was die Verlage zur Verfügung stellen. Und einige der Bücher landen auch gleich auf Paulas Wunschzettel für Weihnachten. Die Geschichte mit dem Trotztäufelchen kennt sie gut. „Ich bin auch oft so wütend“, und im Bilderbuch bekommt dann der Papa irgendwann die Trotztäufelkrankheit. „Das ist bei meinem Papa aber nicht so“, weiß die Fünfjährige.

Noch bis zum 11. November wird das Kulturzentrum PFL in Oldenburg zur Liegewiese für lesehungrige Kinder. Die Toilette ist Wickelstation für die kleinen Geschwister, die Cafeteria ist zur Saftbar erklärt. Die Kibum ist Deutschlands einzige nicht-kommerzielle Kinderbuchmesse und das heißt: Es werden keine Bücher verkauft. Einzige Ausnahme ist die „Harry-Potter-Nacht“, in der von Freitag auf Samstag ab 0.00 Uhr der neue Band angeboten wird.

Außerdem gibt es auf der Kibum einen Literaturpreis für Erstlingswerke in Höhe von 7.600 Euro. In diesem Jahr teilten sich den Mirijam Günter (31) und der Oldenburger Kunstprofessor Jens Thiele (59): Günter wurde ausgezeichnet für ihr handgeschriebenes Manuskript „Heim“, in dem die Kölnerin die Geschichte eines Mädchens erzählt, das zwischen Heimen und Pflegefamilien aufgewachsen ist. Jens Thiele bekam den Preis für seinen Bilderbuch-Entwurf „Jo im roten Kleid“ – eine raffinierte Kollage von Graphik, Foto und Readymade.

Die Kinder, die sich hier auf der Bühne lümmeln, wählen sich derweilen ihre Favoriten selbst aus. Paul zum Beispiel mag Ritterbücher. „Aber das hier finde ich nicht so gut. Ich finde besser, wenn die kämpfen und so ein bisschen tot gehen.“, erklärt der Siebenjährige. Die pädagogisch wertvolle Kinderliteratur sieht man hier eher in Erwachsenenhänden.

Werner Schmitz liest in Bas Harings Evolutionsgeschichte „Warum ist der Eisbär so weiß?“. An den Wochenenden ist für den Vermesseungsingenieur Kinderzeit, er ist mit seinen Töchtern auf der Kibum: „Hier komme ich dazu, in Ruhe zu lesen.“ Schwer vorstellbar, das: An den elf Kibum-Tagen werden mehr als 35.000 BesucherInnen erwartet.

Darunter auch Schulklassen: Alleine achtzehn waren gestern angemeldet. Fabian, Uwe und ihre MitschülerInnen haben Listen in der Hand. Hier sollen sie die Bücher eintragen, die ihnen am besten gefallen. Die am häufigsten gewählten Bücher werden für die Schulbibliothek angeschafft.

Für Fabian und Uwe steht die Wahl schon fest. Mit anderen Jungs stehen sie um einen Tisch und begutachten fachmännisch die neuesten Bände der Reihe „Die wilden Fußballkerle“. „Cool! ‘Leon der Slalomdribbler‘“, ruft Uwe. Anna und Christine schmökern in den „Leselöwen Reiterferiengeschichten“ und „Lesetiger Ponyhofgeschichten“. Auch wenn die preisgekrönte Bildergeschichte „Jo im roten Kleid“ von einem geschlechterübergreifenden Tabubruch handelt: Jungs bleiben offenbar Jungs und Mädchen bleiben Mädchen. Kinder sind ganz schön konservativ.

bis zum 11. November, Mo-Fr 8.30-19.00 Uhr, Sa/So 10.00-18.00 Uhr im Kulturzentrum PFL, Peterstraße 3. Stationen der Kibum im Frühjahr 2004: Bremerhaven, Celle, Zeven, Verden