Klampfen, bis die Saite reißt

Solide, aber nicht herausragend: Die in Süddeutschland frenetisch gefeierte Folksängerin Barbara Clear hatte ihren ersten Auftritt in Hamburg

Energiestoß, Vulkan und Erdbeben: Gnadenloser Einsatz ist gefragt„Ob Ihr das schafft, beim nächsten Stück mal ein bisschen mitzuklatschen?“Clear will auf jeden Fall wiederkommen, um den Norden komplett zu erobern

von Maren Albertsen

Statt Cola gibt es heute Rotwein, statt Popcorn edlen Nussmix. Das Kinopublikum schubst nicht, raschelt nicht mit Bonbonpapier und macht auch keine dummen Witze während der Vorstellung. Im Gegenteil, es sitzt brav in den Stuhlreihen und gibt keinen Mucks von sich. Aber das ist auch wieder falsch. Denn Barbara Clear will Einsatz. Die kleine Frau steht da oben im Indianerhemd mit ihrer Gitarre vor der Leinwand des Magazins und will heute Abend nicht ganz großes Kino, sondern ganz große Musik machen. In München hat sie das in diesem Jahr geschafft, hat die Olympiahalle mit 8.000 Leuten gefüllt und gute Kritiken für ihr dreistündiges Folk-Rock-Programm bekommen. Von einem „Energiestoß“ (Mittelbayrische Zeitung) war die Rede, oder gar von einem „Vulkan und Erdbeben“ (Vogtland Anzeiger).

Die Besucher in Hamburg sehen allerdings nicht so aus, als würden sie sich heute über Naturgewalten freuen. Höchstens 80 Leute sind ins Magazin gekommen, allesamt keine Krachmacher, mit wenigen Ausnahmen deutlich über 50. Von hinten sieht man glänzende Halbglatzen neben grauen Haaren, karierte Pullunder neben dicken Pelzmänteln. Das Gläschen Sekt geleert, fläzen sich alle erst mal gemütlich in die plüschig-roten Sessel und warten ab. Warten ab, was Barbara Clear, die im Süden von den Medien als authentische Powerfrau mit einzigartiger Stimme gefeiert wurde – gerade so, als gäbe es nicht bereits unzählige phantastische SängerInnen, die in kleinen Clubs mit handgemachter Musik die Szene bereichern –, dem Norden denn so zu bieten hat. Clears Gesang ist souverän, das Gitarrenspiel gekonnt. Doch von den Stühlen holt das niemanden. „Meint ihr, ihr bekommt es hin, beim nächsten Song mitzuklatschen?“ Die Antwort ist Stille. „Auweia! Hamburg! Man hat mir ja gesagt, dass ihr hier im Norden ein bisschen Zeit zum Auftauen braucht. Wann soll ich denn wiederkommen?“ Jetzt hat sie die ersten Lacher auf ihrer Seite. Und das Klatschen funktioniert auch irgendwie, zumindest für das eine Stück.

Vielleicht würde bei einem Auftritt im Logo oder Knust bereits der Saal toben, wer weiß. Vielleicht wäre da auch schon eine Gitarrensaite gerissen, „denn wer mich kennt, wird es kaum fassen, dass bis jetzt keine kaputt ist, die reißen sonst immer“. Wie zum Beweis malträtiert sie ihre Klampfe noch stärker, bis, endlich, pling, die Saite doch ab ist. „Seht ihr?“ Na also, geht doch, sogar hier. Vielleicht liegt es aber nicht nur am Raum und nicht nur an den kühlen Hamburgern, sondern auch ein wenig an Barbara Clear selbst, dass der Funke, den sie beschwört, nicht richtig überspringt. Anstatt ihre Lieder für sich sprechen zu lassen, stellt sie jedesmal überflüssige Erklärungen voran („Das ist jetzt ein Lied über eine Frau. Eine Frau, die die Frau entdeckt. In sich. Es heißt: The woman in me.“). Sie singt das Antikriegslied „Battlefields in the Name of God“, um gleich danach mit Christina Aguileras Popsong „Jeanny in a bottle“ anzuschließen. Ein eigener Stil ist bei keinem dieser Lieder erkennbar – mal abgesehen davon, dass nach einiger Zeit alles irgendwie gleich klingt. Gleich gut. Aber nicht herausragend. Und schon gar nicht einzigartig.

Den größten Applaus bekommt Clear folglich, wenn sie Songs von den Eagles, Deep Purple oder Kate Bush vorträgt, denn die kennt das Publikum, da wird es aktiv. In einer Pause – Clear will schließlich CDs verkaufen – gesteht eine Frau in der Schlange vor dem Damenklo, dass sie gerade das erste Mal nach einem Lied gejauchzt hat. Und da mache sich noch einer über den kühlen Norden lustig! Bei der Zugabe erheben sich sogar die meisten, so viel Einsatz muss sein. „Mercedes Benz“ röhrt Clear zum Abschluss ins Mikro. Dann ist es geschafft. Die neue Janis Joplin ist es nicht, die sich nach zweieinhalb Stunden bedankt und (ein wenig erleichtert?) verabschiedet. Muss es ja auch nicht.

Auch wenn der Anfang in Hamburg zugegebenermaßen ziemlich hart war: Barbara Clear will auf jeden Fall wiederkommen, sie möchte jetzt den ganzen Norden erobern. Vielleicht sollte sie sich dafür nur noch auf ihre Musik konzentrieren. Und nicht so oft darauf hinweisen, wie ehrlich sie doch ist, und wie sehr sie es verabscheut, wenn die Menschen in großen Stadien viel Geld für „unechte“ Musik ausgeben. Wie haben es mittlerweile kapiert: Nur sie ist authentisch und bleibt sich treu. Wahrscheinlich hat sie deswegen auch ihren Namen geändert. Clear klingt schließlich viel echter als Klier.