beiseite
: My Generation

Anfang der Sechzigerjahre brachte das Erreichen des dreißigsten Lebensjahrs noch einiges an Dramatik und Tiefe mit, zumindest wenn man Ingeborg Bachmann und ihrer Erzählung „Das dreißigste Jahr“ Glauben schenkt: „Nie hat er einen Augenblick befürchtet, dass der Vorhang, wie jetzt, aufgehen könne vor seinem dreißigsten Jahr, dass das Stichwort fallen könne für ihn und er zeigen müsse eines Tages, was er wirklich zu denken und zu tun vermochte, und dass er eingestehen müsse, worauf es ihm wirklich ankomme. Nie hat er gedacht, dass von tausendundeiner Möglichkeit vielleicht schon tausend Möglichkeiten vertan und versäumt waren – oder dass er sie hatte versäumen müssen, weil nur eine für ihn galt. Nie hat er bedacht …Nichts hat er befürchtet. Jetzt weiß er, dass auch er in der Falle ist.“

Über vierzig Jahre später stellt sich das ein wenig anders dar. In der Falle fühlen sich noch viele Dreißigjährige, nur schreiben sie das nicht mehr hin. Ihr oberstes Gebot lautet: immer schön locker bleiben. Also witzelt der 32-jährige Florian Illies in seinem Generation-Golf-2-Buch: „Gegen Zukunftsangst helfen vor allem Besuche von Handwerkern.“ Die wüssten nämlich immer, dass ihre Vorgänger gepfuscht hätten und mit ihrem Besuch jetzt alles besser werde. Ein wahrlich guter Rat von Illies. Falls trotzdem alle Stricke reißen, mutmaßt Illies am Ende seines Buches, „dass es ja zum Glück dann doch immer anders kommt, als man so denkt“.

Der 35-jährige Volker Marquardt mag ein bisschen weiter sein als Illies – drei Jahre, um genau zu sein – und sein Buch „Das Wissen der 35-Jährigen“ allein deshalb eine Idee ernsthafter und nachdenklicher angelegt haben. Doch auch er ist zuversichtlich und meint, selbst mit 35 noch „zwischen Hoffen und Bangen“ zu stehen und eine Chance zu haben: „Eine Chance auf einen zweiten Beginn oder überhaupt auf einen Beginn.“ Überall Auswege, immer.

Der Bedarf an Büchern wie diesen scheint jedoch ein großer zu sein. Gerade in diesem Jahr überschwemmen die Verlage den Markt geradezu mit dieser Art von Lebensberatern, Stimmungsberichten und Wir-Büchern. Generationsinspektionen galore, aber nur wenig supreme: Für die angehenden 30-Jährigen stehen Christoph Amend und Matthias Kalle bereit, auch bekannt als „die neuen Nachdenklichen“; ab 30 aufwärts haben wir Illies und Marquardt, die Lockerbleiber und Rahmabschöpfer, sowie den 37-jährigen Schweizer Autor Rolf Dobelli, der mit „35“ sein Debüt vorgelegt hat, laut Verlag „eine Midlife Story“, mehr aber ein Sammelsurium von Sentenzen aus dem Leben eines supererfolgreichen Jungmanagers, der mit 35 alles stehen und liegen lässt, in Indien herumstreift, nach Zürich zurückkehrt und über sein Alter nachdenkt: „Das eigentlich Ärgerliche mit 35: Er kann jetzt machen, was er will, er wird kein anderer mehr.“ Und schließlich ist da, für die Exdreißigjährigen, Reinhard Mohr, der mit „Generation Z“ noch einmal seine 78er-Kreation in Erinnerung rufen möchte (Hallo, ich war doch zuerst da mit „Zaungäste“!).

Auffällig übrigens, dass diese Häufung von Generationenporträts zusammenfällt mit dem Ende der Popliteratur. Die Kalles, Illies und Mohrs sind die neuen Popliteraten, sie schreiben die Faserlands, Soloalben und Crazys einfach weiter, aber ohne literarische Überformungen. Nur der Wind, der den Popliteraten von den Jessens dieser Welt immer ins Gesicht geblasen wurde (keine Literatur, Schnösels, Nichtskönner etc.), und das anscheinend erfolgreich, der hat sich gelegt. Nun aber haben wir den Salat: überall Wir, nirgendwo mehr ein Ich. Überall Wir-Maschinen und Krisenüberwindungsliteratur, nirgendwo mehr Pop.GERRIT BARTELS

PS: Ein Generationenbuch für Erstklässler gibt es schon etwas länger: „Das Weltwissen der Siebenjährigen“. Aber das ist eine andere Geschichte. Pop ist es aber auch nicht.