„Es ist das Parfum der Machtlosigkeit“

Die Kinderprostitution an der Grenze zu Tschechien nimmt zu. Polizeipsychologe Adolf Gallwitz über die Ursachen

taz: Herr Gallwitz, Unicef hat gerade eine Studie zur Kinderprostitution im deutsch-tschechischen Grenzgebiet vorgelegt. Sie sagten dazu, dass „wir nur einzelne Stellen der Spitze des Eisberges kennen“. Wie groß ist der Eisberg?

Adolf Gallwitz: Sehr groß. Hinter der deutschen Grenze liegt das größte Freilichtbordell Europas. Dort gibt es auch Jugendliche zu kaufen. Zynisch gesagt: Die Lust auf das Kind hat sogar deutlich zugenommen.

Haben Sie Zahlen?

Nein. Denn die Prostitution mit den Kindern, die jünger als zehn Jahre sind, findet nicht mehr auf der Straße statt. Sie wird häufig in Bars abgewickelt, in denen Treffpunkte vereinbart werden. Um dahin zu kommen, müssen Sie als „seriöser“ Kunde gelten. Mittlerweile ist die Szene hochgradig organisiert. Das sind mafiöse Strukturen.

Wieso ist gerade die tschechische Grenze so beliebt?

Der wichtigste Grund ist das extreme Wohlstandgefälle zu Deutschland. Dazu kommt noch, dass für viele Kinder in dieser Region Tschechiens Familiengewalt und sexuelle Übergriffe Alltag sind. Allerdings kommen die Kinder auch aus Bulgarien, Rumänien und den ehemaligen GUS-Staaten. Die Kunden fragen dabei sehr stark nach einem Typus Kind: nach den Roma. Das liegt am Aussehen; der Teint dieser Kinder ist sehr beliebt.

Wer sind die Freier?

Es sind überwiegend Deutsche – aus allen Schichten. Mit einer leichten Häufung im Bereich der oberen Mittelschicht. Das sind Leute, die selbst viel mit Kindern zu tun haben. Studenten, Oberstudienräte und Sozialarbeiter.

Gibt es psychische Auffälligkeiten bei diesen Menschen?

Nein. Eine Gruppe kommt aus dem Kreis der Pädosexuellen. Sie suchen von Jugend an nach entsprechenden Angeboten. Die zweite sind die Erlebnistouristen. Leute, die eine sehr hedonistische Weltanschauung haben und hemmungslos promiskuitiv sind. Die wollen das einfach mal im Urlaub ausprobieren: Während die Frau beim Friseur sitzt, geht der Mann eben schnell zum Kindersex. Danach wird dann noch gemeinsam gut und billig essen gegangen.

Wieso sind diese Leute so auf Kinder fixiert?

Kinder haben eine besondere Attraktivität, weil sie zu den unwichtigsten, hilflosesten und machtlosesten Geschöpfen dieser Gesellschaft gehören. Sie haben dieses Parfum der Machtlosigkeit an sich. Und im Gegensatz zu erwachsenen Prostituierten haben sie keine professionellen Allüren.

Aber ein normaler Mensch hätte da doch eher Schuldgefühle.

Ja. Aber bei exzessiver Beschäftigung mit Kinderpornografie beginnen die Leute, die Realität langsam umzudeuten. Und dann gibt es sehr viel Material, das suggeriert, dass Sex mit Kindern etwas Schönes, Angenehmes, Tolles sei.

Warum gibt es so wenige Prozesse gegen diese Leute?

Zum einen klappt die Zusammenarbeit mit den tschechischen Behörden nicht besonders gut. Problematischer ist aber, dass die Opfer oft nicht aussagen wollen. Sie haben Angst, dass ihr Zuhälter sie nach einer Aussage drangsaliert. Oder dass sie in ein Kinderheim kommen, in dem sie vor ihm nicht beschützt wären.

Wie könnte man Kinderprostitution denn bekämpfen?

Zunächst sollte man die soziale Kontrolle durch offensive Informationen an der Grenze erhöhen. Außerdem müsste man sich mehr auf die organisierte Kriminalität konzentrieren, auf die Hintermänner. Dafür müsste das Opfer besser geschützt werden: Im Moment gilt es nur als Mittel, um den Täter zu überführen. Damit es in ein Zeugenschutzprogramm kommt, muss der Fall schon sehr spektakulär sein, ein einfacher Missbrauch reicht nicht.

Missbrauch reicht für die Strafverfolgung nicht aus?

Bisher wird doch nicht wirklich gegen Menschenhändler ermittelt. Das sieht man auch daran, dass illegale Prostituierte in Deutschland schlicht rausgeschmissen werden. Das gibt zwar eine gute Kriminalstatistik, die Hintermänner bleiben aber ungeschoren. INTERVIEW: RUDI NOVOTNY