Danziger Tagebuch (3): Dienstag, den 28.10.03
: Perschaus verschollen geglaubte Geburtsurkunde

Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen derzeit Bremer Größen samt Domchor in Danzig: Für die Städtepartnerschaft nehmen sie den Erich Brost-Preis entgegen (s. S. 23). Und für Bremens Kulturhauptstadtbewerbung loten sie das Unterstützungs-Potenzial aus. Die taz ist live mit dabei.

Baden in der Ostsee: Das hält wach. Gut so, denn sonst hätte man beim offiziellen Bankett möglicherweise die Performance von Hartmut Perschau verpasst. Der kleine Bürgermeister erweist sich als gebürtiger Danziger. Als Gastgeschenk erhält er deshalb, gerahmt: Seine bislang verschollen geglaubte Geburtsurkunde. Die Bremer Protokollchefin kämpft mit den Tränen. Vergeblich. Wenigstens hält das Make-up weitgehend. Der Tag bleibt wurstfrei und auch die Stadt fühlt sich immer besser an: Aus tristen Sozialismus-Relikten lodert ein grandioser Optimismus. Außerdem ließe es sich in Danzig vom taz-Gehalt leben.

Um 12 Uhr klingelt das Handy von Kulturhauptstadtbewerbungs-Projektteammitglied Uli Fuchs: Bremen am Apparat. Beim Senator für Benimm und Schulen herrscht Unruhe: In einer taz-Glosse werden – als Stützen des Domchors und der Völkerverständigung – dienstbefreite Pädagogen erwähnt. Nun wird wohl jede Sekunde ausgefallenen Unterrichts erfasst. Und man wird sehen, dass die ganze Bremer Bildungsmisere von zu weltoffenen Pädagogen herrührt: Reisen relativiert überkommene Wertvorstellungen und führt zu flegelhaftem Benehmen.

Allmählich klärt sich der Sinn der Fahrt. Erich-Brost-Preis, klar, superwichtig. Aber das echte Master-Stichwort heißt „transnationales Lernen“. Es gehe darum, ein Gespür für die Zusammenhänge hier zu bekommen, sagt Kulturhauptstadtbewerbungs-Intendant Martin Heller, und nicht darum, auf die Schnelle Koproduktionen und Gastspielreihen festzuklopfen.

Solidarnošc-Denkmal: drei mind. 30 Meter hohe Stahlträger-Kreuze. Rein hypothetisch: Wenn der Papst jemals Selbstmord begehen würde, dann von da oben. In der Kirche, wo das Weihwasser gefriert, musiziert die Cappella Gedanensis mit dem Bremer Domchor: Krönungsmesse und, leider etwas asynchron, Bach – herzerwärmend. Die Joh.-Paul-II-Plastik im Altarraum schmunzelt vor sich hin. B. Schirrmeister