Ein Gegenspieler fehlt

„Im Schatten der Macht“ (20.15 Uhr, ARD): Wie stürzte Willy Brandt? Regisseur Oliver Storz spürt dem Mythos nach, nicht der Geschichte

von KLAUS HARPPRECHT

Der Autor war Redenschreiber von Willy Brandt und Zeitzeuge.

Sein Bild hat sich längst von der Realität seines Wirkens gelöst: der grandiosen Leistung seiner „Ostpolitik“, den (hartnäckig unterschätzten) Impulsen für das Zusammenwachsen Europas, den Reformen des Bürgerrechtes, die akzeptiert sind, den sozialen, die nicht länger mehr tragen, von den Niederlagen im taktischen Kleinkrieg, von dem Mangel an Härte, der ihn im Kampf um die Macht besiegte.

Im Widerstand gegen Hitler und Stalin hatte Willy Brandt sie 100fach bewiesen. Auch bei der geduldigen Eroberung der Macht. Nicht bei ihrer Behauptung. Trotzdem, er war kein „Don Quichotte“, kein „romantischer Held“, wie der Schauspieler Michael Mendl ihn sieht – und dennoch mit erstaunlicher Glaubwürdigkeit nicht nur spielt, sondern ist: eine Idealbesetzung.

Der Regisseur Oliver Storz spürte dem Mythos Brandt nach, nicht der historischen Wahrheit, der Legende, nicht der platten und zugleich so komplexen Realität. Der Augenzeuge jenes Abschieds von der Macht, die eine Kapitulation vor der eigenen Ohnmacht war, hat dies zu akzeptieren. Er tut es nicht ungern: Denn neben Adenauer ist keine andere Figur der zweiten deutschen Republik ins Mythische gewachsen, nur Brandt.

In der deprimierenden Geschichte der ersten Republik fand sich keine Persönlichkeit, die dank ihrer mythischen Kraft im Gedächtnis des Volkes, ja im Bewusstsein der Welt eingewurzelt wäre: Nicht Ebert, nicht Rathenau, nicht Stresemann, nicht Brüning – nur der versteinerte Greis von Hindenburg, der ihrem Untergang präsidierte. Auch Ulbricht, Gründervater der anderen Republik, wurde nicht in die (schwarze) Legende entrückt, sondern verliert sich.

Doch nein, da ist noch der Dritte. Herbert Wehner, Brandts Kontrahent. Der Mann, der ihn im Mai 1974 zur Strecke gebracht hat, egal, ob durch eine sorgsam konstruierte Intrige oder durch die Konstellation, von der er profitierte. Er hätte in Storzens Film die starke Gegenfigur sein müssen. Er ist es nicht. Jürgen Hentsch gibt Wehner ohne die brüske Härte, ohne die lauernde Dumpfheit, die plötzlich wie von Blitzschlägen mit greller Klarheit aufgerissen wird, ohne die genialische Dämonie.

Nein, er war kein Kommunist mehr. Doch in der Mechanik des taktischen Kalküls blieb er zeitlebens stalinistisch geprägt. Oliver Storz entzog sich der Gefahr, statt Wehner den Spion Günter Guillaume zu dämonisieren und zum Partner des Kanzlers hochzustilisieren: eine Versuchung, der Michael Frayn, der britische Theater- und Romanautor, in seinem Brandt-Stück auf kunstvolle Weise erlegen ist. Bei Storz bleibt der Agent – auch in Brandt-Sohn Matthias Brandts virtuos-ironischer Anverwandlung – eine wichtige Nebenfigur: ein „sehr deutscher Charakter“, wie der jüngste der Willy-Söhne sagte, kleinbürgerlich – konventionell, trotz des Doppelspiels und trotz seiner Neigung zu den Gardistinnen der leichten Kavallerie; den weiten Herren, denen er diente, in völliger Loyalität ergeben. Brillant: der dicke Dieter Pfaff als Genscher, Michael Quast als Günther Nollau, das Wehner-Faktotum, das nicht an die Spitze des Verfassungsschutzes gehörte, auch Felix von Manteuffel als der kühl-glatte Scheel. Sensibel, bewegend, vielleicht strahlend und elegant genug Barbara Rudnik als Ruth Brandt.

Die überragende Gegenfigur: Sie fehlte. So verläuft sich der Film in seelenvoller Resignation. Im unheilschwangeren Regen. Genug Wasser, um Kristina Söderbaum anschwimmen zu lassen, die einstige „Reichswasserleiche“. Aber es tritt gottlob nur die Stern-Reporterin Wiebke Bruns ins Licht, die den todtraurigen Brandt über den Klippen Helgolands am Ärmel ins Leben zurückzupfen darf.

„Im Schatten der Macht“, ARD, heute und morgen, 20.15 Uhr