Wenn ein Gourmet Geburtstag feiert …

Wolfram Siebeck, langjähriger Gastronomie-Kritiker der „Zeit“, hat der deutschen Küche die Mehlschwitze ausgetrieben und den guten Geschmack eingeführt. Seinen 75. Geburtstag feierte das Hamburger Wochenblatt mit einem mehr als exklusiven Menü am Fuß des Wendelsteins. Die taz war dabei

von CORNELIUS TITTEL

Kein Wort, kein Blick, kein gar nichts: Als Johannes Rau vor kaum zwei Wochen ins Schloss Bellevue lud, um einer Prozession meist grauhaariger Würdenträger winzige Anstecknadeln an Bluse und Revers zu heften, da hätten zwei frisch gebackene Bundesverdienstkreuzträger erster Klasse auf Leben und Werk anstoßen können, auf Gesundheit im Alter und die beiderseits geschätzten Schnitzel im Berliner Restaurant Borchardts. Und dann das: Ausgerechnet Wolfram Siebeck und Alfred Biolek würdigten sich keines Blickes.

Ein nicht zu übersehender Zwist zwischen den zwei prominentesten Vorkochern der Nation. Ob Biolek schmollte, weil Meister Siebeck, wie kolportiert, seine Kochshow „grauenhaft“ findet und wegen des „ewigen Rumgemansches „regelmäßig weiterzappt“? Man weiß es nicht.

Nur so viel steht fest: Siebeck hätte den leidlich bekannten Schauspieler, der kürzlich bei „Alfredissimo“ ein halbes Kilo Gouda in sein Chili Con Carne schüttete, hochkant aus der Küche geprügelt – was wiederum anschaulich erklärt, wieso Siebeck das Kreuz für seine Verdienste um die deutsche Esskultur erhielt, Biolek hingegen für sein Engagement beim UN-Kinderhilfswerk.

Dabei war es dem gebürtigen Duisburger Siebeck keinesfalls in die Wiege gelegt, als Kreuzritter des kalt gepressten Olivenöls in die deutsche Mediengeschichte einzugehen. Die Küche seiner Kindheit muss traumatös gewesen sein, dass Essen seiner Studentenjahre nur wenig besser. Ausgerechnet der Besuch eines Trickfilmfestivals in Frankreich beschert dem damaligen Illustrator Siebeck in den Sechzigern sein spätes Coming-out: leichte Saucen statt schwerer Tunke, trockener Weine statt Liebfrauenmilch, von der in Eisbein-Deutschland gänzlich unbekannten crème fraîche ganz zu schweigen.

Es war ein neues Geschmacksuniversum, dessen Siegeszug Siebeck spätestens seit 1970, seit seinen ersten Fress-Kolumnen für die Zeit, ohne Unterlass propagierte. Unermüdlich reisend, Bestseller schreibend, besser wissend, oft mit einem ins Snobistische tendierenden Absolutheitsanspruch, und immer, wirklich immer unbescheiden. Denn wer bescheiden ist, so Siebecks unerschütterliche Überzeugung, gibt sich stets mit zu wenig zufrieden.

Man durfte also durchaus gespannt sein, wie die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit am vergangenen Wochenende den 75. Geburtstag ihres durch wöchentliche Gourmet-Kritik zum Träger des höchsten deutschen Ordens gereiften Starkolumnisten begehen würde. Den Geburtstag eines Mannes immerhin, der uns fast im Alleingang vom Joch der Mehlschwitze befreit hat.

Wie also feiern? Mit einer kulinarisch-logistischen Leistungsschau: Freunde der Familie, Kritiker-Kollegen, Weggefährten und die Gewinner des Zeit-Genießer-Rätsels wurden eigens nach München eingeflogen, wo ein Sonderzug der Bayerischen Oberlandbahn wartete, um Jubilar und Gratulanten nach Bayrischzell zu bringen und, getreu einer alten Siebeck-Maxime („Wann ich das letzte Mal betrunken war? Erst heute Mittag wieder!“), nicht zu knapp mit Veuve Clicquot beladen.

Man hätte Mitleid haben können mit Starkoch Paul Urchs, der in seinem erst kürzlich am Fuße des Wendelstein bezogenen „Alpenhof Bayrischzell“ das sechsgängige Diner verantwortete. Eine Festgemeinde, die in einer Blindverkostung nahezu geschlossen den Unterschied zwischen Segovia- und Imperial-Kaviar erkennt und selbstverständlich weiß, welcher Produktionsschritt Champagne Krug von anderen Champagnern unterscheidet – ein nicht eben leicht abzuspeisender Schlag Mensch.

Doch Urchs wäre keiner von Siebecks Lieblingsköchen, wenn er nicht von den ersten, noch im Stehen gereichten bretonischen Felsenaustern an zu überzeugen gewusst hätte. Kompromisslose Qualität und edelste Zutaten an allen Fronten: vom lauwarmen Hummercarpaccio mit Gemüse-Limonen-Vinaigrette über die sensationelle, weiß getrüffelte Jakobsmuschellasagne bis zum Rehrücken im Kräutercrépemantel, der beängstigend perfekt mit den Schokoladen- und Minzaromen des 2000er Cabernet Merlot Cap Mentelle harmonierte (siehe Rezept).

Von Zeitungskrise also keine Spur, so viel stand spätestens beim zum Dessert gereichten 96er Rich Reserve Veuve Clicquot fest. Es wurde angemessen geklotzt, schienen doch die Verantwortlichen zu ahnen, dass Siebecks Kolumne mehr für die Leser-Blatt-Bindung der Zeit getan hat als so mancher staatstragende Leitartikel Helmut Schmidts.

Überhaupt war es ein Abend der großen Vergleiche. Weißwürste wurden mit „Albinopimmeln“ verglichen, Neutronenbomben mit Siebeck („Wo sie einschlagen, da bleibt das Geschirr heil – nur das meckern in der Küche hört auf“) und schließlich Siebeck mit Adenauer.

Dr. Theo Sommer, langjähriger Chefredakteur der Zeit und nun über den Dingen schwebender „Editor at large“, stellte in seiner langen Laudatio tatsächlich die These auf, Adenauer und Siebeck seien am folgenreichsten für die Westanbindung Deutschlands eingetreten, der eine auf politischen Wegen, der andere kulinarisch, nur um kurz darauf zu behaupten, er könne anhand von Quittungen belegen, das Siebeck im Zuge dieses Engagements den Gegenwert eines Atomkraftwerkes verfressen habe. Ein fast schon hysterisches Lachen; manch einem scheint es ähnlich zu gehen.

Irgendwann gegen fünf oder sechs Uhr morgens, acht nun wirklich allerletzte Absacker später, stellte der Gourmet-Kritiker der Welt am Sonntag Theo Sommer die Frage, wann er das letzte Mal gebetet habe. Die Antwort spielt längst keine Rolle mehr.

Und der Meister? Liegt seit zwei Stunden im Bett, Energie tanken für das Trüffelomelette in wenigen Stunden. Wie hat er so schön, kurz vor seinem Abgang, über die Laudatio des ehemaligen Chefs gesagt: „Sommer hätte zur Halbzeit eine Pause machen sollen. Den Rest zum Neunzigsten, das wär’s gewesen.“ Eine klare Ansage: Das Fressen geht weiter.