Vernetzung im Supermarkt

Sie will nicht der dumme August der Linken sein: Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles besucht Bremen und macht den SPD-Genossen Mut zum Widerstand. Die treffen sich zum Vernetzen auch gerne mal beim Einkaufen

Bremen taz ■ „Wer heute noch der SPD vertraut, dem hat man den Verstand geklaut.“ Ernst Busche, 71-jähriger Friedens-Streiter, steht vor der Tür des Saals im DGB-Haus und hält sein kleines Plakat in die Höhe. Lächelnd zieht Genosse um Genosse an ihm vorüber, hinein in den Saal. Drinnen, bei Wasser und Neonlicht, grübeln die Sozialdemokraten dann, wie sie das Image ihrer Partei aufmöbeln könnten. Und fragen sich, warum man in Zeiten wie diesen überhaupt noch SPD-Mitglied ist.

„Neue Zeiten denken – was heißt soziale Gerechtigkeit heute?“ war der Titel der Veranstaltung am Montagabend: ein Vortrag von Andrea Nahles – Ex-Juso-Chefin, linke Regierungskritikerin und SPD-Bundesvorstandsmitglied – mit anschließender Diskussion. Geladen hatten die SPD-Stadtlinke, die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) und die Jusos. Von denen tauchten aber nur wenige auf – an den langen Tischen tummelten sich viele graue Bärte, etwa siebzig Sozis an der Zahl.

Trübes wusste Andrea Nahles in ihrem Vortrag über den Zustand der SPD zu berichten: Umfragewerte um 22 Prozent und massenhaft entlaufene Mitglieder – selbst im SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen habe man inzwischen weniger Mitglieder als die CDU. Und das alles, weil die SPD ihre Kernkompetenz, die soziale Gerechtigkeit, dahingegeben habe. „Es ist, als ob Mercedes den Stern auf den Autos abknickt und sagt: der könnte ja auch mal moderner daherkommen“, kritisierte Nahles die Politik von Rot-Grün. Wie ein „Sozialklempner“ wirke die Sozialdemokratie zur Zeit, ohne Antworten auf die Fragen der Menschen. Mit durchnummerierten Gesetzespaketen. „Hartz IV! Wer weiß denn, was das meint!“

Warum soll ein gesunder junger Mensch heute noch in die SPD eintreten? „Weil hier die meisten Menschen versammelt sind, denen soziale Gerechtigkeit ein Anliegen ist – zumindest rein zahlenmäßig“, glaubt Nahles. Und damit die Wähler das auch merken, müssten die Linken in der SPD wieder sichtbar werden. „Auf die Rolle vom dummen August der Linken habe ich keinen Bock mehr“, schimpfte Nahles. „Immer rede ich auf Parteitagen an dritter Stelle. Und nach mir kommen dann Olaf Scholz oder Wolfgang Clement und erklären, warum das Quatsch ist, was ich gerade gesagt habe.“ Man müsste mehr Mitkämpfer für linke Konzepte wie die Bürgerversicherung gewinnen – „auch euren Bürgermeister“, rief Nahles. Und über diesen Vorschlag mussten die Bremer Genossen dann doch herzlich lachen. „Den erreichen wir auch sonst nie!“

„Mehr Vernetzung wagen“ lautete die Losung in der anschließenden Diskussion. „Wir müssen Netzwerke bilden“, forderte Herbert Brückner, „mit Gewerkschaften, Kirchen, Attac und Sozialverbänden. Wir müssen so stark sein, dass der Gerd sich nach uns richten muss.“

Doch, doch, man könne sich ja schon mal wieder treffen, sagtedie Bürgerschaftsabgeordnete Uta Kummer nach der Veranstaltung. Das mache man doch ohnehin ständig, meint Juso Christian Wichert. „Bremen ist doch so klein, da trifft man sich doch sowieso immer beim Einkaufen.“ Also linker Widerstand im Supermarkt? Die Reihen fest geschlossen vor dem Kühlregal, und ein Gespenst geht um vor der Fleischtheke? Da kriegt der Gerd aber Angst.

Dorothea Siegle