Vier Prozent hier, Angst dort

Eine Krise, zwei Gesichter: Die Opel-Arbeiter zittern um das Werk in Rüsselsheim. Die Kollegen von VW in Wolfsburg hingegen träumen von mehr Lohn

von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Wenn heute bei der Volkswagen AG in Wolfsburg die Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag in die dritte Runde gehen, ist der Verhandlungsspielraum für die Betriebsräte und die Vertreter der IG Metall in der Verhandlungskommission wieder ein Stück kleiner geworden. Denn fast täglich gibt es neue Hiobsbotschaften aus der Branche in Deutschland. Die Automobilbauindustrie im Lande der Erfinder der Diesel- und Ottomotoren befindet sich – von Ausnahmen wie BMW und Porsche abgesehen – in der schlimmsten Krise der Nachkriegsgeschichte.

Um international konkurrenzfähig bleiben zu können, will der Vorstand von VW die Arbeitskosten in seinen sechs Werken in Deutschland bis 2011 um 30 Prozent senken. Bei Opel bangen die Beschäftigten gar um den traditionellen Produktionsstandort Rüsselsheim. Rund 10.000 Stellen will General Motors (GM), die US-amerikanische Mutter von Opel (Deutschland), Saab (Schweden) und Vauxhall (England), in Europa streichen. Am Donnerstag wird das GM- „Sparpaket“ für den ganzen Kontinent in der Züricher GM-Europa-Zentrale vorgestellt.

Spekuliert wird in der Branche, welche Bänder GM stilllegen will? Die bei Opel in Rüsselsheim oder die bei Saab in Trollhättan. Für den Standort in Hessen spricht die erst vor knapp zwei Jahren eröffnete und als „modernstes Automobilbauwerk der Welt“ (Opel) gefeierte Produktionsstätte „Leanfield“. Dort wird aktuell der Mittelklassewagen Vectra produziert. Und Opel in Rüsselsheim kann auch seine Lage in der Mitte Europas und die günstigen Verkehrsanbindungen zu Lande (Autobahnen), zu Wasser (Main) und in der Luft (Flughafen Frankfurt) in die Waagschale werfen.

Dennoch könnte der Produktionsstandort von Saab in Südschweden am Ende das Rennen um die noch verbleibende einzige Fertigungsstätte für Mittelklassewagen auf dem Kontinent gewinnen. In Schweden liegen die Produktionskosten nämlich um gut 25 Prozentpunkte unter denen in Deutschland. Rote Zahlen schreibt das Werk in Trollhättan dennoch, aber weitaus weniger tiefrote als Opel seit jetzt knapp zehn Jahren – trotz aller Kostensparprogramme wie etwa „Olympia“, mit dem schon im letzten Jahr die Gewinnzone erreicht werden sollte.

Die Fronten verhärten sich. Bei VW drohte der Betriebsrat am Wochenende mit Streik. Gleichzeitig stellte der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh die Belegschaft darauf ein, dass die aktuelle Tarifrunde „kein Selbstläufer“ sei, „erst recht, wenn wir uns das Umfeld in der Autoindustrie anschauen“. Dass die Forderung nach einer Einkommenserhöhung von vier Prozent nicht so ganz in diese Landschaft passt, wissen auch die Belegschaftsvertreter in der Verhandlungskommission.

Erneut bereit, einen Preis zu zahlen, seien die Arbeitnehmer bei VW aber nur, wenn der Vorstand im Gegenzug seine Bereitschaft erkläre, eine Beschäftigungsgarantie für alle gut 100.000 Automobilwerker der Firma in Deutschland abzugeben. Das „Modell Mercedes“ also. In Stuttgart garantierte der Konzernvorstand die Beschäftigung bis 2010. Im Gegenzug verzichtete die Belegschaft auf 500.000 Euro an übertariflichen Leistungen und erklärte sich zu Mehrarbeit ohne Lohnausgleich bereit. Dass bei VW auch heute noch Gehälter über dem Metalltarif für Niedersachsen, der für einen Facharbeiter mit Berufserfahrung (Lohngruppe 10) 2.741 Euro brutto ausweist, gezahlt werden, dürfte der Hauptgrund für die vom Vorstand signalisierte Härte in der letzten Verhandlungsrunde in der vergangenen Woche gewesen sein. Runter mit den Lohnkosten und rauf mit der Arbeitszeit – sonst würden 30.000 Stellen abgebaut, drohte der Vorstand. Immerhin. Beim deutschen Konzern Volkswagen geht es anders als bei der GM-Tochter Opel jedoch nicht um die Schließung eines ganzen Standortes.

Bei Opel will der von Detroit aus ferngesteuerte Vorstand um den Vorsitzenden Hans Demant dagegen noch nicht einmal über Beschäftigungsgarantien reden. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz rief schon den Kanzler zu Hilfe. Schließlich gehe es um den „Standort Deutschland“. Die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden aller deutschen Automobilbauunternehmen trafen sich am Wochenende im Ferienhaus von BMW in Tirol zum „Krisengipfel“ mit der Spitze der IG Metall. Das Fazit: Nie war die Lage so ernst.