Zeitenwende in Kolumbien

Mit seinem Referendum und bei den Bürgermeister- und Gouverneurswahlen in Kolumbien scheitert der autoritäre Präsident Uribe fast vollständig. In der Hauptstadt Bogotá erringt die demokratische Linke um Lucho Garzón einen historischen Sieg

von GERHARD DILGER

Die Momente, in denen Kolumbiens Linke feiern kann, sind selten. Am Sonntagabend war es so weit: In Bogotá hatte Luis Eduardo Garzón, den sie alle nur „Lucho“ nennen, die Bürgermeisterwahl gewonnen. Bei einer hohen Wahlbeteiligung kam er auf 46,6 Prozent – solch einen Vertrauensvorschuss haben die BogotanerInnen bislang noch keinem Bürgermeister auf den Weg gegeben. Im Wahlkampf hatte der 52-jährige Exgewerkschafter angekündigt, für die ärmere Hälfte der 7-Millionen-Metropole Politik machen zu wollen: „Das Symbol Bogotás ist das Fahrrad – nun ist es Zeit, dass wir uns um die Lebensumstände des Fahrradfahrers kümmern.“

Zugleich geht von Garzóns Erfolg ein landesweites Signal aus: Im Mai 2002 hatte er bereits mit dem dritten Platz bei der Präsidentenwahl einen Achtungserfolg erzielt und halb im Scherz eine „dritte Runde“ angekündigt. Dass er jetzt den Kandidaten von Álvaro Uribe deutlich besiegte, lässt all jene hoffen, die sich schon zähneknirschend auf ein langes Regiment des rechten Präsidenten eingestellt hatten.

Auch in anderen Teilen Kolumbiens trumpfte die Opposition auf: In Valle del Cauca, der Provinz um Cali, wurde Garzóns Freund und Namensvetter, der frühere Arbeitsminister Angelino Garzón, mit 61 Prozent zum Gouverneur gewählt. In Medellín siegte der linksliberale Mathematiker Sergio Fajardo, in Barranquilla der progressive Ökonom Enrique Hoenigsberg.

Beschleunigt hat sich damit der Niedergang der Liberalen und der Konservativen, die die Geschicke Kolumbiens seit der Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert bestimmen. Die Kandidaten der abgewirtschafteten Traditionsparteien gewinnen heute nur noch im Ausnahmefall – oder wenn sie, wie 2002 Uribe, auf Distanz zur eigenen Partei gehen. Die Wahl, die diesmal ohne Tote und Verletzte über die Bühne ging, markiere „eine Neuordnung der politischen Landschaft“, glaubt denn auch der Politologe Pedro Medellín.

Und sie ist eine Ohrfeige für den Präsidenten, der Hand in Hand mit den USA einen beispiellosen Feldzug gegen die mächtige Farc-Guerilla führt. Anders als Uribe befürwortet Garzón eine Verhandlungslösung für den mittlerweile 40-jährigen Guerillakrieg. Sympathien für die Rebellen kann man dem ehemaligen Kommunisten dabei nicht nachsagen: Der bewaffnete Kampf sei eine „Sackgasse“, verkündet Garzón seit Jahr und Tag. Gleich nach seinem Wahlsieg forderte er die Farc auf, die ehemalige Senatorin Ingrid Betancourt freizulassen, die seit Februar 2002 entführt ist.

Politische Gewalt hat der Sohn einer Bogotaner Putzfrau und studierte Jurist Garzón oft genug am eigenen Leib erlebt. Neunmal saß er wegen fadenscheiniger Anlässe im Gefängnis, 1998 floh er nach Drohungen rechtsextremer Todesschwadronen ins Schweizer Exil.

Die Zahl der in den letzten Jahrzehnten ermordeten kolumbianischen Gewerkschafter geht in die tausende. Viele von ihnen kannte Garzón persönlich. Ab 1975 engagierte er sich in der besonders stark vom Staatsterror betroffenen Erdölgewerkschaft USO, 1996 wurde er zum Chef des Dachverbandes CUT gewählt – und überlebte. 2001 gründete er das Linksbündnis „Demokratischer Pol“, den organisatorischen Kern seines politischen Projekts.

Mehr noch aber als der Wahlausgang dürfte Präsident Uribe das Echo auf sein Referendum vom Samstag schmerzen. Bisher nämlich hat keine seiner vorgeschlagenen 14 Verfassungsänderungen das erforderliche Quorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten überschritten – bestenfalls fünf Punkte könnten es bis zum bis Mittwoch angekündigten Auszählungabschluss noch schaffen. Wochenlang hatte Uribe für jene Reformen geworben, mit der er angeblich die Korruption und sogar den Terrorismus schwächen wollte: Verurteilte Politiker sollten auf Lebenszeit von Staatsämtern ausgeschlossen, das Parlament verkleinert werden. Vor allem jedoch wollte er in der Verfassung eine Beschneidung der Gehälter und Pensionen von Staatsbeamten festschreiben lassen, was den Haushalt um Milliardenbeträge entlastet hätte.

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