Vertreibung aus dem Fußballparadies

Im Weserstadion diskutierten Werder-Vorstand, Polizei und Fußballfans über die Richtlinien für Stadionverbote. Die werden in Bremen und St. Pauli liberaler ausgelegt als in Hannover und Kiel. Drei bis fünf Jahre ist die Höchststrafe. In allen Stadien

Der DFB: „Wer den Regeln nicht zustimmt, kriegt mächtigen Ärger“

von Ebbe Volquardsen

„Wer als männlicher Fußballfan zwischen 18 und 25 Jahren mit einer Gruppe Gleichgesinnter zu einem Auswärtsspiel fährt, läuft Gefahr, aus dem Stadion geschmissen zu werden“, fasst Manfred Rutkowski vom Bremer Fanprojekt das Problem zusammen. Sicherlich ein bisschen übertrieben. Aber in der Tat hat sich die Zahl der verhängten Stadionverbote in den letzten drei Jahren mehr als verdreifacht – ohne dass die Szene nachweislich radikaler geworden wäre. Eingefleischte Fans empfinden das als Provokation und beklagen sich über Willkür.

Stadionverbote werden von den Vereinen ausgesprochen. Einmal verhängt, gelten sie meist drei oder fünf Jahre – und das in allen Stadien der Ersten und Zweiten Bundesliga sowie der Regionalligen. „Fußballfans empfinden ein Stadionverbot als die denkbar härteste Strafe“, sagt Werder-Fan Wilko Zicht, Mitglied des Bündnisses aktiver Fußballfans (BAFF). Besonders kritisiert er die Dauer der Sanktionen. „Gerade Jugendliche, die sich einmal daneben benommen haben, können durch ein Stadionverbot aus ihrem Freundeskreis herausgerissen werden“, sagt Zicht. Seiner Meinung nach sei das nicht mit der sozialen Verantwortung des Deutschen Fußballbundes (DFB) zu vereinbaren.

Der DFB hat die Richtlinien für Stadionverbote 1993 zusammen mit den Jugend- und Innenministern der Länder aufgestellt. Die Vereine unterschreiben das seither kaum veränderte Regelwerk zu Saisonbeginn. Die Unterschrift verweigert hat bisher kein Club. „Wer den Regeln nicht zustimmt, kriegt mächtigen Ärger“, sagt eine Mitarbeiterin des DFB, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Doch zufrieden mit dem Regelwerk sind längst nicht alle Bundesligavereine. Bei einer Diskussion am Dienstagabend im Bremer Weserstadion waren sich Fanclubs und Vereinsspitze einig, dass Verbote mitunter ungerechtfertigt verhängt werden. „Oft versuchen wir mit den anderen Vereinen zu verhandeln, wenn wir glauben, ein Verbot gegen einen Bremer Fan sei zu Unrecht erteilt worden“, sagte Werders Vize-Präsident Hubertus Hess-Grunewald.

Manfred Rutkowski vom Fanprojekt kritisierte, dass die Einstellung des Strafverfahrens gegen einen auffällig gewordenen Fan nicht zum Ende des Stadionverbots führe. Außerdem werde kein Unterschied zwischen jugendlichen und erwachsenen Störenfrieden gemacht. Um eine Art Warnschuss bei weniger schweren Regelbrüchen abzugeben, schlägt Rutkowski kurzfristige Verbote, Bewährungsauflagen und Sozialarbeit vor.

Die bundesweit agierende Koordinationsstelle der Fanprojekte, der auch Rutkowski und seine Leute angehören, hat ein Elf-Punkte-Programm ausgearbeitet. Damit, so glaubt man, könnten die DFB-Richtlinien für Stadionverbote gerechter gemacht werden. So schlagen die Fußballfans vor, dass nicht der Verein, in dessen Stadion ein Zwischenfall passiert, sondern der Club, dem sich der Unruhestifter zugehörig fühlt, Herr des Verbotsverfahrens sein soll. Der jeweilige Fanbeauftragte des Vereins kenne seine Pappenheimer und könne am besten einschätzen, ob eine dreijährige Sperrung tatsächlich angemessen ist – oder nicht.

Außerdem fordert die Koordinationsstelle ein Anhörungsrecht für jeden Fan, dem ein Stadionverbot droht. Das wird in Bremen bereits praktiziert. „Bei uns werden die Betroffenen immer angehört“, sagt der Fanbeauftragte vom SV Werder, Dieter Zeiffer. Der Verein arbeite bestens mit Fanprojekt und Polizei zusammen. Ungerechte Stadionverbote ließen sich so vermeiden. In der Tat gehört Werder Bremen zu den Vereinen, die in den vergangenen Jahren am wenigsten Stadionverbote ausgesprochen haben. Auch auswärts haben die Werder-Fans nur wenige Verweise kassieren müssen.

Kritisch zur Praxis des DFB steht man auch beim FC St. Pauli. Ein Recht auf Anhörung gibt es auch beim Kiez-Club. Denn: „Wenn es im Stadion zu Anzeigen wegen Landfriedensbruch kommt, trifft es bei so einer großen Menge oft auch Unschuldige“, sagt der Sicherheitsbeauftragte vom Millerntor, Sven Brux. Verhängt der Verein ein Verbot gegen Auswärtsfans, schreiben die Paulianer den gegnerischen Club an. „Wenn der dortige Fanbeauftrage es für richtig hält, sind wir gern bereit, das Stadionverbot aufzuheben“, so Brux. Bei kleineren Vergehen kommt es vor, dass der Fan das Stadion putzen muss, dafür beim nächsten Mal aber wieder kommen darf.

Andere Vereine hingegen stehen voll hinter den Richtlinien des DFB. „Anhörungen gibt es gar nicht, die Regeln des DFB sind ziemlich gut“, sagt Thomas Döbel, Sicherheitsbeauftragter des Regionalligisten Holstein Kiel. Auch Ansgar Niemann von Hannover 96 ist gegen die Vorschläge der Fanprojekte. „Wenn der Schaden bei uns im Stadion passiert, dann wollen wir das auch sanktionieren.“

Die Aufmerksamkeit des Bremer Landesjugendamts haben Fanprojekt und die Leute aus dem Fanblock „Eastside“ mit ihrer Diskussionsrunde erweckt. Jetzt hat dessen Leiter Michael Schwarz einen Brief an alle Innenministerien geschrieben. „Im Grundsatz sind die Forderungen der Fanprojekte richtig“, meint Schwarz. Es sei an der Zeit, dass das Thema politisch diskutiert werde. Das findet auch der jugendpolitische Sprecher der Bremer SPD-Fraktion, Frank Pietrzok. Er wolle sich bemühen, das Thema Stadionverbote in die öffentliche Debatte zu bringen. Beim nächsten Werder-Auswärtsspiel will der Abgeordnete die hartgesottenen Fans aus der Ostkurve begleiten.