„Opel muss grün werden“

HANS-JÜRGEN URBAN, 48, ist seit Ende 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Zuvor war er Leiter der Abteilung für Grundsatzfragen. Urban gilt als Vordenker der Gewerkschaftsbewegung. Er tritt für politische Autonomie ein und war einer der Drahtzieher, die den Pakt zwischen SPD und Gewerkschaften aufgekündigt haben.

INTERVIEW FELIX LEE
UND ULRICH SCHULTE

taz: Herr Urban, sind Sie ein Krisengewinner?

Hans-Jürgen Urban: Meinen Sie mich als Person oder die IG Metall?

Die IG Metall.

Der Begriff „Krisengewinner“ taugt nicht als Beschreibung für Organisationen, die einen sozialen und solidarischen Ausweg aus dieser Krise suchen. Die Gewerkschaften bemühen sich zweifelsohne, den notwendigen Widerstand zu mobilisieren. Gleichzeitig entwickeln und fördern sie Alternativkonzepte und Optionen zum Ausweg aus der Krise. Aber ganz ehrlich: Wir hätten uns eine solche Krise nicht gewünscht.

Sie dringen mit Ihren Ideen politisch stärker durch. Selbst der Bundespräsident klingt wie ein Gewerkschafter.

In der Tat haben unsere Einschätzungen, Analysen und Lösungsvorschläge Wind unter die Flügel bekommen. Der Neoliberalismus hat sich historisch einmalig blamiert – als Unternehmensstrategie und als Leitbild von Politik und veröffentlichter Meinung. Andererseits profitieren wir von einer hohen Glaubwürdigkeit. Positionen, die Gewerkschaften vor langer Zeit entwickelt haben, bestätigen sich jetzt.

Eine Ihrer Thesen lautet: Die soziale Marktwirtschaft ist eine Illusion. Wir dachten, die hätte gerade Konjunktur.

Die Begriffe, die wir seit vielen Jahrzehnten benutzen – „keynesianische Nachfragepolitik“ etwa oder „soziale Marktwirtschaft“ –, sind einfach zu schwach. Sie werden dem, was jetzt kommen muss, nicht gerecht.

Was muss kommen?

Eine grundlegende Ökologisierung der Industrie. Dann steht eine massive Umverteilung von Einkommen und Vermögen an, wirtschaftliche und politische Entscheidungsprozesse müssen sehr weitgehend demokratisiert werden. Nur so lässt sich ein solidarischer Krisenausweg organisieren. Weder der Begriff der sozialen Marktwirtschaft, noch die landläufigen Vorstellungen keynesianischer Nachfragepolitik werden diesen Essentials gerecht.

Wie nennen Sie Ihr Alternativmodell?

Ich würde es als eine neue ökologisch und sozial orientierte Wirtschaftsdemokratie bezeichnen. Die IG Metall will der Krise mit einem Aktionsplan beikommen, der auf drei Ebenen angreift. Erstens fordern wir von der Politik Reformen, zweitens sichern wir Beschäftigung in den Betrieben. Und drittens appellieren wir mit unserem Frankfurter Appell an Meinungsführer und die Zivilgesellschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ein neuer demokratischer Diskurs ist nötig.

Machen wir es konkret: Sie sprechen von Ökologisierung, gleichzeitig wollen Sie mit Opel ein Unternehmen retten, das zu lange auf veraltete Technik gesetzt hat – das ist das Gegenteil von Ökologisierung.

Nein. Der Markt sortiert im Moment nicht den einen oder anderen Akteur aus, weil er Innovationen verschlafen hat. Die deutsche Wirtschaft erlebt einen Kollaps. Nachfrage bricht weg, Finanzierungsmöglichkeiten brechen weg. Ohne politisches Eingreifen würden mit Maschinenbau und Autoindustrie die deutschen Branchen zusammenbrechen, die weltweit am wettbewerbsfähigsten sind.

Noch einmal: Opel hat wie andere deutsche Hersteller zu sehr auf große Spritschlucker gesetzt. Warum ist eine Rettung ökologisch, wenn anderswo Milliarden für Umwelt oder Bildung fehlen?

Die strukturellen Probleme – im Übrigen der gesamten Branche – bestreite ich nicht. Akute Absatzprobleme gibt es selbst bei Toyota, die beim Hybridantrieb führend sind. Die Politik muss in jedem Fall eingreifen. Der Markt wird eine Neuaufstellung der Wirtschaft nicht regeln, man darf ihm den Wandel nicht überlassen.

Sie wollen Jobs mit einem Rettungsschirm für Unternehmen von 100 Milliarden Euro erhalten. Ist das nicht klassischer Keynesianismus?

Die Idee geht weit darüber hinaus. Der Beteiligungsfonds soll zunächst das Überleben der Unternehmen sichern. Das heißt: Wir kaufen Zeit. Gewährt der Staat einem Unternehmen Mittel, muss er sie an gesellschaftlich sinnvolle Bedingungen knüpfen – zum Beispiel an die Entwicklung von zukunftsträchtigen, ökologisch wichtigen Produkten. Der Staat kann so die Entwicklung einer neuen Wirtschaftsdemokratie aktiv und demokratisch steuern.

Und Opel würde grün?

Bei Opel, wie bei anderen Marken auch, müsste die Produktpalette diskutiert und grüner gestaltet werden. Ein anderes Beispiel: Unter dem Primat des Shareholder-Value haben sich Firmen auf besonders profitable Bereiche spezialisiert. Bei einer Ökologisierungsstrategie ist es hingegen sinnvoll, auch Produkte auf den Markt zu bringen, die zunächst nur unterdurchschnittlich profitabel sind. Auch da komme ich wieder zu dem Ergebnis: Der Markt allein schafft das nicht.

Wo ziehen Sie die Grenze? Großunternehmen werden gerettet, kleine nicht?

Der Staat muss die Unternehmen retten, die systemrelevant sind. Und systemrelevant ist, wer im Falle einer Pleite mehr Schaden verursacht, als er bei einer Rettung kosten würde. Ich wäre allerdings für eine großzügige Definition, bis wieder mehr Vernunft in den Markt eingekehrt ist.

Was ist eigentlich so schrecklich daran, wenn Firmen – oder sogar überholte Industriesegmente – verschwinden?

Ich kann nur vor einer gefährlichen Illusion warnen: Erst alles kaputtgehen lassen, dann wird der Aufschwung umso schöner. Diese Sicht unterschätzt ein kolossales Problem. Wenn jetzt industrielle Wertschöpfung zerstört wird, dauert es Jahrzehnte, sie wiederaufzubauen. Und die sozialen Folgekosten sind immens.

Ihre Vorschläge decken sich weitgehend mit denen von Bewegungen wie Attac. Warum riefen IG-Metall-Spitze und andere Gewerkschafter erst so spät zur Großdemonstration am Samstag auf?

Jeder macht in der Krise seine eigenen Pläne. Die Gewerkschaften hatten sich auf den 16. Mai als Aktionstag der europäischen Arbeitnehmervertretungen geeinigt. Dann kam der 28. März in die Diskussion. Und wir haben intensiv debattiert, ob wir zwei Großdemos innerhalb so kurzer Zeit mit einer guten Beteiligung hinbekommen.

Die seriöse IG Metall war also nicht fies zu den diversen Linksinitiativen, die heute demonstrieren?

Ach was. Es macht keinen Sinn, sich nicht zu unterstützen, und es wäre kleinkariert, die eine Demo gegen die andere auszuspielen. Sicher: Der Betriebsratskollege aus der Automobilindustrie, die Aktivistin von einer Menschenrechtsorganisation und das Mitglied Attac kommen aus unterschiedlichen kulturellen Welten. Und trotzdem ist es notwendig, dass sich diese Milieus treffen und zu gesellschaftlich wichtigen Fragen gemeinsam mobilisieren. Ich nenne das Mosaiklinke. Der einzelne Stein bleibt erkennbar, aber so richtig schön ist das Kunstwerk nur zusammen.

Glauben Sie, dass die Krise Menschen politisiert?

Die Krise politisiert nicht von allein, es gibt keinen Automatismus. Sie politisiert nur, wenn es gesellschaftliche Bewegungen, Akteure, Kräfte gibt, die die Frustration bündeln und Perspektiven aufzeigen. Dazu ist auch nötig, dass Ross und Reiter benannt werden – wir werden verhindern, dass unter der Nebelwand der Krisenrhetorik die Verursacher im Unsichtbaren verschwinden.