Der Paradiesvogel

Als Pastor in Altona bringt Bernd Nielsen Religion und Kultur ins Gespräch. Als Theologe sitzt er einer Gesellschaft kritischer Wissenschaftler vor. Besuch bei einem Vermittler

Wie banal Lösungen sein können. Kürzlich empfing Bernd Nielsen eine Schulklasse in der Hauptkirche St. Trinitatis Altona. Der Pastor wollte sich mit ihnen über das Leben im Stadtteil und über das Leben im Allgemeinen unterhalten. Ein zehnter Jahrgang kam, fast die Hälfte war muslimischen Glaubens. Es gibt bessere Ausgangsbedingungen für ein Gespräch.

„Also stellte ich zu Beginn klar, dass ich sie so akzeptiere, wie sie sind. Dass ich sie nicht missionieren will“, erzählt Nielsen. Applaus brandete auf, das Eis war gebrochen. Die Schüler beteiligten sich vorbildlich. Später kamen einzelne zu ihm, um sich persönlich für seinen respektvollen Ton zu bedanken. „Man kann nur miteinander sprechen, wenn Gleichberechtigung herrscht“, sagt Nielsen.

In des Pastors Wohnzimmer hängt ein käsebleicher Jimi Hendrix an der Wand. „Das Poster habe ich seit meiner Jugend“, sagt Nielsen. Früher klebte es einfach so auf der Tapete. Heute ist es gerahmt, hinter Glas konserviert. Keine Risse im Papier, nur die Farben wirken etwas blass.

Nielsens Jugend, das waren die 70er Jahre, und in dem kleinen Kurort an der Nordsee, in dem er aufwuchs, muss Hendrix‘ Saitenspiel ganz besonders unanständig geklungen haben. Nielsen verfiel Musik und Malerei. Er griff selbst zu Pinsel und Gitarre, da war er 15.

„Um ein Haar wäre ich Künstler geblieben“, sagt der 51-Jährige. Dann entschied er sich doch, sein Theologiestudium zu nutzen, um Pastor zu werden. Als Altenseelsorger arbeitete er zunächst in einem Krankenhaus, nach fünf Jahren übernahm er eine Gemeinde in Wesselburen. Zehn Jahre blieb er ihr treu. Dann, Ende 2007, suchte der Kirchenvorstand des Kirchenkreises Altona jemanden für ein ganz besonderes Projekt: die „Kulturdialoge“ in der Hauptkirche St. Trinitatis Altona. Das Ziel: Religion und Gegenwartskultur zusammenzubringen. Eine Mischung aus Kirchen- und Kulturarbeit, wie geschaffen für den Gottesmann mit der künstlerischen Ader.

Zum Vorstellungsgespräch kam Nielsen im orangefarbenen Hemd – und wurde einstimmig gewählt. „Sie sind ein Paradiesvogel“, sagte Probst Horst Gorski anlässlich seiner Amtseinführung. „Ich bin schon etwas schrill“, sagt Nielsen.

Die „Kulturdialoge“ sind zunächst auf fünf Jahre begrenzt. Und schon im ersten Jahr hat Nielsen ein ansehnliches Aufgebot junger Maler und nicht mehr ganz so junger Jazzmusiker in das Gotteshaus am Fischmarkt gelotst. Zum Trend der Events unterm Kreuz zählt Nielsen die „Kulturdialoge“ nicht. Event, sagt er, klinge nach eventuell, nach inhaltlich vage. Bei den „Kulturdialogen“ diene die Kunst stets als Vehikel für das Gespräch. Auf die Show folgt die Diskussion. Die Abende sind Themen wie Arbeitslosigkeit, Migration, Jugend oder Alter gewidmet. „In den Medien werden gesellschaftliche Gruppen ständig gegeneinander ausgespielt“, sagt Nielsen. Das lese sich dann zum Beispiel so: Die Alten leben auf Kosten der Jungen. Die Jungen verprügeln die Alten.

Diese Bruchlinien beschäftigen Nielsen auch als Vorsitzenden der „Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie“. Die interdisziplinäre Organisation mit Sitz in Heidelberg erforscht die Veränderungen, die der Neoliberalismus anrichtet. „Konfliktlinien verstärken sich“, sagt Nielsen. „Menschliches Zusammenleben gerät unter Druck.“ Die Ergebnisse ihrer Forschung präsentiert die Gesellschaft an diesem Wochenende bei ihrer Jahrestagung in Hamburg-Altona. MATHIAS BECKER

Jahrestagung der Gesellschaft für Psychohistorie: bis 29. März, Dorothee-Sölle-Haus, Königsstraße 54