Der alte Zottelfuchs

Arabische Woche der Wahrheit: Saddam Hussein geht es im Gefängnis blendend

Manchmal sitzen wir vorm Fernseher oder Radio und beten: Unsere tägliche Irakmeldung gib uns heute nicht. Aber nein, die Anschläge, Selbstmordattentate und Geiselnahmen hören nicht auf. Wie lange geht das schon? Ein Jahr? Hundert Jahre? Seit dem Mittelalter? Die Bilder von Enthauptungen, von Geiselnahmen, von bärtigen Gotteskriegern scheinen aus dieser Zeit zu kommen. Modern, kurz und schmerzlos jedenfalls, wie die Amerikaner in Aussicht stellten, wirkt der Krieg nicht. Allein die Übertragung der Folterungen war eine echte Innovation. Dachte man zunächst, es handele sich um bizarre Modeschauen oder moderne Kunst, wurde später deutlich, dass hier nur kleinkarierte Sadomaso-Fotos für den Hausgebrauch vorlagen. Wer später einmal nachsehen wird, was von diesem Krieg geblieben ist, wird auf diese Bilder stoßen und sich fragen, warum die Leute eigentlich gegeneinander Krieg führten, wo sie doch so einen Mordsspaß miteinander hatten.

Dem angeblichen Hauptverantwortlichen und Urheber des Krieges, Saddam Hussein, geht es unterdessen gut. Einer Meldung dieser Tage zufolge sitzt der irakische Ex-Präsident entspannt in der Zelle, liest den Koran und versorgt die Pflanzen. Zum Zeitvertreib spielt er mit Vertrauten Poker, Schach und Domino. Offenbar geht es ihm besser als allen anderen zur Zeit im Irak lebenden Personen. Während er überlegt, ob er Schach mit dem Turm oder mit der Dame geben soll, explodieren im Land die Pipelines und Polizeistationen. Während er den Zellen-Hibiskus wässert, um sodann bedächtig eine Seite im Koran umzublättern, müssen sich die Ausländer draußen Reihen-Enthauptungen unterziehen. Saddam Hussein ist, scheint’s, gut untergekommen.

Der alte Fuchs hat seit Beginn des Krieges, den er auch durch Nichtbesitz von Massenvernichtungswaffen nicht mehr verhindern konnte, genau das Richtige getan. Erst spielte er eine Weile Versteck mit den Besatzern und war schon fast vergessen. Als man ihn dann aus einem unterirdischen Plumpsklo herauszog, erweckte er bei aller Welt Mitleid. Der alte Mann mit dem Zottelbart sah aus wie Reinhold Messner nach der Durchquerung eines Kohlenhaufens. Danach versteckten ihn die Amerikaner wieder, rasierten ihn ein paar Wochen und entließen ihn frisch geduscht in seine Zelle, den sichersten Ort, den der Irak derzeit anzubieten hat. Wenn jetzt noch Bush und al-Sadr hinzukämen, wäre die Skatrunde perfekt.

Etwas unverständlich ist deshalb ein Interview, das der irakische Präsident Allawi kürzlich gab. Er behauptet darin, Saddam leide schwer unter der Situation und habe in einem Schreiben um Gnade gebeten. Wenn das nicht gelogen ist wie alles in diesem Krieg, ist es verrückt. Warum sollte der Ex-Diktator freigelassen werden wollen? Um sich als Geisel zur Verfügung zu stellen? Oder als Selbstmordattentäter? Und wohin sollte Saddam gehen? Bei seinen Palästen haben die Besatzer das Schloss ausgewechselt. Auch das Ausland kommt kaum in Frage. Nicht einmal Tschetschenien oder Afghanistan würden ihn aufnehmen.

Wie dem auch sei, die Nachricht vom pokernden und Schach spielenden Saddam Hussein war die erste friedliche Nachricht aus dem Irak seit langer Zeit. Wenn alle jetzt einmal seinem Beispiel folgten und – anstatt sich gegenseitig totzuschlagen – so wie er nur die Zeit totschlügen, wäre der Krieg schnell vorbei. Hatte die US-Armee nicht zu Beginn des Krieges Spielkarten verteilt? Dann sollte man sie schleunigst auch einsetzen. RAYK WIELAND