Wie ein Gedicht

Stämmig, adstringierend, kurz? Wenn Ihnen das nichts sagt, dann sollten Sie mal Ihren Sommelier fragen. Der übersetzt Ihnen „Sans Dosage“ und „Herrenwein“ und empfiehlt auch gleich noch das passende Schnitzel dazu – manchmal sogar mit Poesie

von JUDITH LUIG

Eine Neigung kategorisiert einen Menschen. Opernliebhaber etwa, so dürfte man meinen, sind gemeinhin nicht linksradikal, Attac-Mitglieder wird man kaum im Kegelclub antreffen. Aber es gibt eine Leidenschaft, welche die Lager vereint: der Wein. Fachkenner von Rebsorten und Anbaugebieten gibt es in schmuddeligen Ökoweinereien in Berlin-Kreuzberg, auf dem Winzerfest an der Mosel oder in der Edelweinbar in Hamburg-Eppendorf.

Ihr gemeinsames Erkennnungsmerkmal ist Weinsprech. Für sie steht der edle Stoff im Glas, er schmeckt minimal laktisch, hat einen mittellangen Abgang. Ein Tropfen mit samtigen Tanninen, ein kapitaler gar. Was sagt uns das? Meist gar nichts.

Zur Rettung des gemeinen Weingenießers ohne öchslische Vorbildung hat Gott den Sommelier geschaffen. Ein „Genussmanager“, wie sich diese Berufsgruppe auf ihrer Webseite www.sommelier-union-deutschland.de selbst nennt, der „als Gegenpol zum Künstler in der Küche“ für das allumfassende kulinarische Erlebnis sorgt. Der Sommelier kennt sich bestens im Weinkeller seines Restaurants aus und kann dem Gast erklären, welcher Tropfen zu welcher Speise zu empfehlen ist. Der Sommelier hat zwar tatkräftig an der Weinsprache mitentwickelt, doch gleichzeitig schlägt er dem Weinsprechsprecher auch ein Schnippchen, denn er weiht Unwissende in die Geheimnisse der Riech- und Schmeckkunst ein. Meistens am Restauranttisch, aber in letzter Zeit auch immer häufiger im Fernsehen.

In Berlin gibt es jetzt einen Sommelier, der die Weinsprache für seine Gäste neu erfindet. Der in Teheran geborene Rakhshan Zhouleh vom Edelrestaurant Margaux, der 2002 zum Sommelier des Jahres gekürt wurde, hat sich der Metapher verschrieben. Er kostet, schlürft, schnuppert, saugt den Duft ein und lässt sich dann zum Gedicht inspirieren. Ein Rotwein wird getitelt mit „Zwei feurig braune Hengste“, eine Ode an einen Barolo beginnt mit „Die zarten Hände der Winzerin streichelten die stämmigen Weinstöcke“. Zhoulehs Gedichte finden sich bereits in der Weinkarte des Margaux, weitere möchte er demnächst veröffentlichen.

Ob man durch seine Sprachbilder den Geschmack eines Spätburgunders tatsächlich besser erahnen mag, bleibt dem Genießer überlassen. Sinnlicher, geheimnisvoller und spannender wird die Bestellung eines Weins durch solch eine Ankündigung bestimmt. Wie schmeckt wohl der grüner Veltliner 2001 von Bernhard Ott, den Zhouleh eher abstrakt mit „Tradition und Gegenwart mischten sich in einer Form der Ewigkeit“ umschreibt? Wie mundet Vigna del Sole, Vernaccia di San Giminignano 2001? In Zhoules Übersetzung rezitierbar als: „Sanft geschwungene Hügel und silbern schimmernde Olivenhaine, laue Winde und viel Pastell, einsame Gehöfte im Schutz hoher Zypressen, Städte wie Schatzkammern der Vergangenheit, und San Gimignano, die Stadt der Türme (Manhattan des Mittelalters). Ein Land wie Poesie.“ Bei einigen Zeilen bleibt jedoch unklar, ob er sie während oder doch eher einige Stunden nach der Verköstigung verfasste. Wie zum Beispiel bei diesem Südafrikaner: „Es war ein heißer Sommertag, als ich aufwachte, wusste ich nicht, wo ich war.“

JUDITH LUIG, 28, ist Redakteurin im taz.mag und bekennende Rheinweinfestliebhaberin