„Parlamente werden entmachtet“

Schleswig-Holsteins SPD-Chef Stegner will die geplante Schuldenbremse stoppen

RALF STEGNER, 49, ist Partei- und Fraktionschef der SPD in Schleswig-Holstein. Zuvor war der Parteilinke Innenminister.

taz: Herr Stegner, Sie wollen sich an einer Klage gegen die geplante Schuldenbremse beteiligen. Warum fallen Sie den Berliner Parteifreunden in den Arm?

Ralf Stegner: Das Budgetrecht der Landesparlamente wird faktisch aufgehoben, wenn der Bundestag eine Schuldengrenze null beschließt – gemeinsam mit einer Länderkammer, in der nur die Regierungen vertreten sind. Da könnte man die Parlamente auch abschaffen.

Der Bundestag beschließt diese Schuldenbremse aber auch für sich selbst.

Für sich selbst kann der Bundestag entscheiden, was er will. Aber dem Bund verbietet er neue Schulden gar nicht, er beschränkt sie nur – und das, obwohl er neue Steuern einführen oder auch zulasten der Länder senken kann.

Eine eigene Schuldenbremse könnte der Landtag in Schleswig-Holstein aber beschließen?

Künftige Begrenzungen von Schulden sind okay, aber nicht auf null. Bezeichnenderweise hat der baden-württembergische Ministerpräsident den Beschluss von oben mit dem Argument gerechtfertigt, in den Länderparlamenten gebe es dafür nicht die nötige Zweidrittelmehrheit. Das spricht für sich.

Das Ziel, nach den immensen Ausgaben für die Bankenrettung das Vertrauen in die Bonität des Staates wiederherzustellen, zählt für Sie nicht?

Das heißt doch übersetzt: Für die Banken haben wir Geld. Für Bildung, Kinderbetreuung oder innere Sicherheit im Zweifel nicht – und das in einer Zeit, in der wir für den Bankrott des Marktradikalismus einzustehen haben.

Wenn die Länder neue Steuern etwa für Reiche selbst beschließen könnten, wäre eine Schuldenbremse in Ordnung?

Davon halte ich nichts. Müssten wir uns einen Steuerwettbewerb mit den reicheren Ländern liefern, wären gleiche Lebensverhältnisse noch mehr in Gefahr.

Das Gesetz lässt Schlupflöcher, gerade für Krisenzeiten.

Darüber entscheiden aber Richter, nicht Landespolitiker. Für Schleswig-Holstein wäre das ein Verarmungsprogramm. Wir haben ein strukturelles Haushaltsdefizit von ca. 500 Millionen Euro pro Jahr, bekommen aber nur 80 Millionen Euro an Hilfen.

Bekämen Sie mehr Geld, würden Sie zustimmen?

Einer Schuldengrenze null würde ich in keinem Fall zustimmen. Über die Summen könnte man schon reden, wenn wir damit die Chance auf einen fairen Wettbewerb mit anderen Ländern hätten. Ohne den Solidarpakt stünden auch Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern nicht besser da als wir.

Der Bundesrat berät an diesem Freitag in erster Lesung über die Föderalismusreform II, deren Kernpunkt eine Begrenzung der künftigen Neuverschuldung ist. Der Bund darf sich demnach pro Jahr mit 0,35 Prozent des Sozialprodukts zusätzlich verschulden, die Länder sollen gar keine neuen Kredite aufnehmen. Ausnahmen gelten für Krisenzeiten. Gegen das Projekt formiert sich überparteilicher Widerstand in den Länderparlamenten, die ihr Budgetrecht bedroht sehen. Der schleswig-holsteinische Landtag beschloss am Donnerstag, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. TAZ

Anders als die Landtage haben die meisten Regierungen zugestimmt. Wären Sie noch Minister, würden Sie die Sache anders sehen?

Als Minister habe ich schon der ersten Föderalismusreform nicht zugestimmt. Zu Recht, wie sich jetzt zeigt. Den Bund aus der Bildungspolitik herauszudrängen war eindeutig ein Fehler.

Man sollte also auf künftige Reformen lieber verzichten?

Man soll ordentliche Föderalismusreformen machen, die nicht die Kleinstaaterei befördern oder die Gleichheit der Lebensverhältnisse gefährden. INTERVIEW:

RALPH BOLLMANN